Das bedingungslose Grundeinkommen – Ein Weg aus der Krise?!

Berlin. Eine kleine, jedoch ordentliche Wohnung steht hier in Reinickendorf. Freundliche Rottöne überdecken die Wasserflecken an den Wänden, der Fernsehtisch – ein kaputter Wäschetrockner. Ein abgewetztes Sofa steht im Wohnzimmer, darauf eine Decke; dies ist der Schlafplatz der 19-jährigen Michèle, der ältesten der drei Töchter. Die 14-jährige Nadine und ihre kleine Schwester Cheyenne (11 Jahre) teilen sich das winzige Kinderzimmer. Ihre Mutter Jaqueline Schade lebt wie „6,8 Millionen andere Menschen in Deutschland“ (Fischhaber 2010) von Hartz IV.

Früher war Jaqueline Näherin, danach Zimmermädchen, später räumte sie Regale im Supermarkt ein. Doch das ist Vergangenheit, seit ihrer Operation hat sie taube Gelenke und kann keinen derartigen Job mehr ausüben. Nun fehlt das Geld: „monatlich 438 Euro vom Arbeitsamt, 558 Euro Kindergeld und 456 Euro Krankengeld […]. 600 Euro kostet die Wohnung, 900 bleiben zum Überleben, das nur mit allerlei Tricks funktioniert“ (Fischhaber 2010).

Sie kauft meist schwarze Stiefel und bemalt diese mit einem Filzstift, damit sie länger neuwertig wirken, die Weihnachtsgeschenke beginnt sie bereits im Mai zu sammeln und „[e]inmal im Monat fährt sie mit Bekannten nach Polen zum Einkaufen (Anpassung F.L.)“ (Fischhaber 2010). Die 14 Jahre alte Tochter Nadine bräuchte dringend eine neue Brille, die 19-jährige Michèle würde gerne ausziehen, doch dafür reicht das Geld nicht. Michèle hat die Mittlere Reife, doch sucht sie nun zwei Jahre lang vergeblich nach einer Lehrstelle; „[d]as bisschen, das sie beim Kellnern verdient, wird der Mutter vom Arbeitslosengeld abgezogen (Anpassung F.L.)“ (Fischhaber 2010).

"Ich wurde in der Schule oft ausgelacht und verprügelt, weil ich die falschen Klamotten hatte", sagt Michèle. "Oder weil ich zu einem Ausflug nicht mitdurfte. Ich habe dann erzählt, ich hätte etwas angestellt, um nicht zugeben zu müssen, dass uns das Geld fehlt" (Fischhaber 2010). Die Mutter würde ihren Töchtern gerne andere Länder zeigen, doch das können sie sich nicht leisten. Bei sich selbst spart die Mutter ein, sie geht nicht weg, trinkt nicht und kauft sich nichts - ihr einziges Laster: das Rauchen.

Jaqueline Schade zündet sich eine Zigarette an. Streng genommen steht ihr die nicht mehr zu, das Geld für Tabak hat die Regierung den Arbeitslosen gerade gestrichen. "Ich möchte mal sehen, was die Politiker sagen, wenn ich ihnen vorschreibe, wie sie ihr Geld ausgeben", sagt Schade trotzig. "Ich bin ein selbstständiger Mensch, aber ich muss mich entmündigen lassen." (Fischhaber 2010)

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt(2).

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden(3).

Diese Zitate stammen, wie vermutlich vielen Leser*Innen bekannt ist, aus dem ersten und zweiten Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und dementsprechend hoch ist auch deren Priorität für das Grundgesetz. Auch in der Bevölkerung erhält der erste Artikel enormen Zuspruch, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Laut einer Umfrage (Institut für Demoskopie Allensbach) zählen 86% der Befragten diesen Artikel zu den 10 wichtigsten Grundrechten des Grundgesetzes (4).

Es steht also außer Frage, welche Tragweite dieser Satz hat und wie substanziell seine Bedeutung ist. In Anbetracht dessen sollte man davon ausgehen, dass die beiden Artikel nach bester Möglichkeit umgesetzt werden. Kritikern zufolge ist diese Umsetzung jedoch ungenügend und die momentanen Zustände entsprechen lange nicht dem Soll. Diesbezüglich schreibt der Unternehmer Götz W. Werner in seinem kürzlich erschienenem Buch:

„Ist das [Leben in menschlicher Würde und Freiheit] nicht unter allen Umständen gewährleistet, dann wären die absolut unverletzlichen, unbeschränkten und obersten Rechte unserer Verfassung letztlich pure Proklamation (Anpassung F.L.)“ (G. Werner, S. 61).

Götz Werner, seines Zeichens Unternehmer, ist einer der bekanntesten deutschen Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens (kurz: BGE). Er selbst sieht diese Würde beispielsweise durch das Arbeitslosengeld II nicht gesichert (5). Später soll in diesem Beitrag darauf eingegangen werden, inwieweit diese These auf das aktuelle System zutreffend ist und ob das BGE diesbezüglich eine bessere Alternative bietet.

Die Idee des BGE zieht bereits seit längerem einen umfangreichen Diskurs in Wissenschaft und Fachpresse mit sich. Außerdem zeigt ein Blick in die beliebte Suchmaschine Google, dass das Interesse am BGE (gemessen an der Anzahl der Google-Suchanfragen) im zeitlichen Verlauf des Jahres 2017 mit dem an dem Schauspieler Til Schweiger deutschlandweit beinahe mithalten kann (6).

Natürlich ist ein solcher Vergleich nicht repräsentativ oder gewichtig, dennoch soll dies verdeutlichen, dass das BGE nicht nur einem kleinen Kreis von Auserwählten präsent ist. Auf das von Götz Werner vertretene Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens soll im weiteren Verlauf des Beitrages tiefergreifend eingegangen werden. Genauer ergeben sich zentrale Fragen, welche dieser Beitrag zu beantworten versucht: Wie soll das BGE nach Werner aussehen? Welche Ziele verfolgt das BGE nach Werner? Welche Probleme könnten mit der Einführung eines BGE entstehen?

Diese Arbeit soll damit Bestandteil einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen sein. Die Struktur dieses Beitrages sieht aus wie folgt: In einem ersten Schritt soll auf das Modell von Götz Werner und dessen Finanzierung eingegangen werden. Im weiteren Verlauf sollen Argumente und Kritikpunkte gesammelt und gegenübergestellt werden. Zuletzt erfolgt ein Resümee sowie grundsätzliche Überlegungen und eine Reflexion meinerseits. 

Das bedingungslose Grundeinkommen

"Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muß warm wohnen, und satt zu essen haben, wenn sich die bessre Natur in ihm regen soll." (7)

Die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens nach Götz Werner ist auf den ersten Blick recht simpel: die Gesamtzahl der Bürgerinnen und Bürger erhalten bedingungslos ein Existenzminimum zugesichert; dies geschieht nicht durch Sachleistungen, sondern in Form von Geld. Dabei liegt eine spezielle Betonung auf dem Wort „bedingungslos“, so spielt es beispielsweise keinerlei Rolle, welches Vermögen bereits angespart worden ist. Für Werner ist das nicht nur irgendeine Idee, sondern eine notwendige Idee, welche Antworten auf tiefgreifende heutige  Probleme liefern soll (8).

Ein wichtiger Punkt des Konzepts besteht darin, dass das Grundeinkommen zu einem Teil des Lohnbestandes gezählt wird. Genauer bedeutet dies: „mit einem Grundeinkommen gibt es nicht mehr Geld“ (Werner 2018, S. 125). Der Teil des Einkommens, welcher die Grundexistenz sichert, wird von der Gemeinschaft an jeden Einzelnen gestellt, alle darüber hinausgehenden Leistungen werden von Arbeitgebern entlohnt.

Die Höhe des Grundeinkommens ist dabei durch Werner noch nicht (endgültig) festgelegt, sicher ist nur: das Existenzminimum muss damit abgedeckt sein. Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, in welchem Rahmen man sich bewegen könnte, gibt Werner als Betrag 1500 Euro an (9).
Für Götz Werner steht das BGE für einen Kulturimpuls: „einen gesellschaftlichen, einen sozialen und vor allem für einen kulturellen Paradigmenwechsel“ (10).

Im nächsten Abschnitt wird die Frage nach der Finanzierung eines solchen „Kulturimpulses“ ausführlicher thematisiert. 

Die Finanzierung: Konsumsteuersystem

„1000 Euro für jeden […]“ (Werner 2008, Titel) oder, wie Werner 10 Jahre später titeln würde, „1500 Euro für jeden“ klingt nach einem verlockenden und schon fast utopischen Angebot. Gerade deswegen fällt schnell auf, wenn man sich etwas genauer mit dem Thema BGE beschäftigt, dass die Frage nach der Finanzierbarkeit einer solchen Idee von enormer Bedeutung ist. Auch in verschiedenen Interviews mit Götz Werner kommt es schnell zu der skeptischen Frage: „Klingt ja alles schön und gut, aber wie soll so etwas finanziert werden?“. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit ebenjener Frage und versucht, der Idee von Werner klare Konturen zu geben.

Im Grunde fußt die Idee von Götz Werner auf einem weiteren (zusätzlich zum BGE) - wie er selbst schreibt - „Kulturimpuls“ (11). Um die Finanzierung des BGE umzusetzen, bedarf es eines Steueraufkommens; die Grundidee dabei lautet: Konsumsteuer (12). In einem länger andauernden Vorgang soll die Konsumsteuer nach und nach zur übergeordneten (bis einzigen) Steuer werden und gleichzeitig das BGE finanzieren (13). Sie ist damit aber, laut Werner, keine neue Steuer, sondern eine, welche das derzeitige Steuersystem neu abbilde und verbessere (14).

Dabei soll „[…] die versteckte steuerliche Belastung des Konsums – also alle Unternehmens- und Ertragssteuern – schrittweise zurückzufahren und dafür im Gegenzug ebenso die offen sichtbare Konsumbesteuerung [erhöht werden] (Anpassung F.L.)“ (Werner 2018, S. 279). Genauer gesagt soll die Ertragssteuer (oder Gewinnsteuer) Jahr für Jahr langsam gesenkt werden und im gleichen Maße die Mehrwertsteuer (also die Konsumsteuer) erhöht werden (15). Eine Umstellung über Nacht soll so vermieden und ein Zusammenbrechen der Wirtschaft verhindert werden (16).

Weitestgehend sollen mit der Einführung eines BGE sonstige Sozialleistungen und andere bestehenden Steuern abgeschafft werden (17). Werners Skizzierungen für die Konsumsteuer und die Finanzierung des BGE sind ausschließlich grobe Vorstellungen und beinhalten keine genauen Vorlagen, sondern bilden lediglich einen Entwurf. Um die eigentliche Idee von Götz Werner zu begreifen und damit auch das grobe Konzept der Finanzierung, muss im weiteren der Sinn von Arbeit und Geld neu verstanden werden.

„Die meisten Menschen meinen, sie leben vom Geld; ich habe noch nie jemanden beobachtet, der von Geld lebt. Sie leben immer von Gütern und Dienstleistungen anderer Menschen. […] Die ganze Welt arbeitet für uns, leistet für uns. Wir leisten für die ganze Welt. […]. Davon leben wir, wir leben nicht vom Geld! Und dadurch, dass wir heute schon leben, haben wir schon die ganzen Güter und Dienstleistungen, und wenn sie es genau beobachten in Hülle und Fülle. (Anpassung F.L.)“ (Werner 2017, 7:04-7:57)

Mit dem obenstehenden Satz begründet er, warum kein ausführliches Konzept benötigt wird. Denn wir leben in einem Überfluss von Gütern und Dienstleistungen, welcher so weit geht, dass wir die ganze Welt ernähren könnten (18). Daraus resultiert also, dass auch die Finanzierung eines BGE kein Problem darstellen sollte. Es stellt sich für Werner nicht die Frage, ob sich das BGE finanzieren lässt, sondern ob wir diesen Schritt zulassen wollen (19).

Für Werner liegt die Priorität klar darin, diese neue Idee ‚erst denken zu lernen‘ und nicht bei einem klaren Finanzierungsprogramm (20). Um konkrete Zahlen oder Hausnummern nennen zu können, habe er weder die nötigen Gesetzesentwürfe noch die riesigen Rechenwerke in einer Schublade liegen (21). Sein Leitspruch auf die Frage der Finanzierung eines BGE lautet daher: „Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe!“ (Werner 2017,1:14:36 – 1:14:46). 

Welche positiven Entwicklungen lassen sich erwarten?

Der folgende Abschnitt geht auf Ziele ein, welche mit Hilfe eines BGE nach Werner verfolgt werden könnten. Oder anders gesagt: welche Stoßkraft könnte eine solche Einführung entwickeln? Im Nachfolgenden muss darauf geachtet werden, dass es sich hierbei nur um Hypothesen handelt und tatsächliche Entwicklungen nur schwer bis unmöglich vorherzusagen sind.

Grundgesetz 

Wie bereits in der Einleitung angesprochen, schützt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die unantastbare Würde des Menschen. Das wird in Artikel 2 erweitert: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […]“ (3). Um diese Würde erhalten zu können, gibt es laut Werner zwei unterschiedliche Bedingungen. Die erste ist das Recht auf Nahrung, Kleidung und Unterkunft (22). Die zweite Bedingung schließt politische, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe jedes Einzelnen mit ein (23). Bezogen auf die zweite Bedingung ist der Begriff „Existenzminimum“ für Werner unpassend, er bevorzugt deshalb den Begriff „Kulturminimum“ (24).

Um dieses Recht in der heutigen Zeit überhaupt nutzen zu können, benötigt jeder Einzelne ein Einkommen; denn ohne Einkommen kann in einer arbeitsteiligen Gesellschaft kein Existenzminimum gewährleistet werden. Und weiter, wenn es also das bedingungslose Recht jedes Menschen ist, in Freiheit und Würde zu leben, dann darf das Existenzminimum (Kulturminimum) ebenfalls nicht an Bedingungen geknüpft sein (25).

Dieses Existenzminimum soll in Deutschland unter anderem durch das Arbeitslosengeld II (umgangssprachlich Hartz IV) gesichert sein. Doch wie bereits in der Einleitung durch ein Beispiel vorgeführt (und durch andere Quellen bestätigt), reicht ein Einkommen durch Hartz IV nicht für ein Existenzminimum und schon gar nicht für ein Kulturminimum aus (26).

Des Weiteren ist Hartz IV immer an Bedingungen geknüpft, welche erfüllt werden müssen. Verstöße dagegen werden mit Kürzungen der Bezüge bestraft. Die Bedingungen, welche erfüllt werden müssen, beinhalten unter anderem einen „Zwang“ zur Arbeit (27). Werner führt weiter aus, dass diese fundamentalen Rechte des Grundgesetzes einzig und allein darauf basieren, auf dieser Welt geboren zu sein, also ohne „im Schweiße unseres Angesichts unser Brot verdienen [zu müssen] (Anpassung F.L.)“ (Werner 2018, S. 61).

Aber auch an anderer Stelle lassen sich Herausforderungen für den deutschen Sozialstaat erkennen, unter anderem die steigende Alters- und Kinderarmut. Zwei verschiedene Studien der Bertelsmann-Stiftung zeigen, dass sowohl Alters- als auch Kinderarmut bereits ein Problem der Gesellschaft sind und weiterhin bestehen werden (28). Werner sagt in einem Interview zu solchen Umständen folgendes:

„In einer Zeit, wo wir noch nie so viel Güter und Dienstleistungen hervorbringen konnten wie heute, dass wir uns Armut leisten, zum Beispiel Altersarmut oder Kinderarmut. Also Kinderarmut kann ja nur Dummheit sein, weil das heißt ja, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Altersarmut ist eigentlich, ja was ist das, grober Undank, weil von den Alten haben wir - bekommen die Verhältnisse wo wir heute sind.“ (Werner 2017, 2:04-2:36).

Mit der Einführung eines BGE nach Götz Werner und dessen Zielsetzung könnte also Folgendes erreicht werden: Jedem ist ein Leben mit einem Existenzminimum (oder Kulturminimum) zugesichert und somit wäre Alters- und Kinderarmut kaum mehr möglich. Für Werner ist „[d]ie Garantie von Würde und Freiheit ohne Garantie einer gesicherten materiellen und soziokulturellen Existenz […] ohne Hand und Fuß“ (ebd., S. 64). Also geht „[e]s […] darum, dass jeder im Sinne des Artikels Eins unseres Grundgesetzes bescheiden, aber menschenwürdig leben kann (Anpassung F.L.)“ (trott!war 2018, S. 16).

Im heutigen Sozialstaat gibt es also Missstände, denen mit einer Einführung des BGE entgegengewirkt werden könnte.

Freiheit und Selbstverwirklichung

„Mit 1000 kann man zu allem Nein sagen“ - so titelt die "Zeit" mit einem Gastbeitrag von Michael Bohmeyer am Anfang des Jahres 2018. Nein zu schlechten Job-Angeboten, nein zu unliebsamen Tätigkeiten und ja zu allem, was man wirklich in seinem Leben erreichen will. In diesem Artikel schildert der Autor seine Erfahrungen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, die er auf Grund der Abfindung durch seinen vorherigen Arbeitsplatz erlangen konnte.

Dabei war er so begeistert, dass er sich entschloss, sich mit großer Hingabe bei dem Internetportal www.mein-grundeinkommen.de zu engagieren, um andere Menschen für ein BGE zu begeistern und ihnen ähnliche Erfahrungen wie seine zu ermöglichen. An einer anderen Stelle im Rahmen dieses Blogs ist eine kurze Zusammenfassung über das gerade angesprochene Internetportal zu lesen.

Bohmeyer beschreibt, welches neue Gefühl von Freiheit er erleben konnte und wie er dadurch neue Kreativität verspürte (29). Auch in einem anderen Gastbeitrag in der „Zeit“ wird von der Freisetzung neuer innovativer Kräfte gesprochen. Auch erwarten Studierende der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg einen vergleichbaren Effekt von der Einführung eines BGE.

Da die existenzielle Grundlage immer gesichert ist, könnte eine Befreiung vom Arbeitszwang stattfinden (30). Dadurch könnte mit der Einführung eines BGE eine neue Form des Arbeitsmarktes entstehen, welcher einen neuen Zuwachs von Freiheiten auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verspricht. Dieser Arbeitsmarkt wäre im wörtlichen Sinne ein Markt, auf welchem alle Parteien auf gleicher Augenhöhe agieren.

In der Theorie geht das aus Folgendem hervor: Werner strebt eine komplette Liberalisierung des Arbeitsmarktes an, in dem es unter anderem keinen Mindestlohn mehr geben soll (31). Ein Mindestlohn wäre nicht mehr notwendig, denn durch ein BGE ist niemand mehr gezwungen zu arbeiten, da die grundlegende Existenz bereits gesichert ist (32). Es könnte eine Trennung von Arbeit und Einkommen vollzogen werden. Konkret hätte dies zur Folge, dass es jedem Arbeitnehmer jederzeit möglich wäre, seinen Arbeitsplatz zu kündigen, ohne dabei Ängste bezüglich seiner grundlegenden Existenz haben zu müssen.

Dasselbe Prinzip wäre natürlich auch auf der Seite des Arbeitgebers möglich. So könnte ein flexibler Arbeitsmarkt entstehen, auf welchem es stets möglich ist, sich selbst zu verwirklichen (33). Dies könnte eine neue Qualität von Freiheit in sich bergen und eine Änderung des gesellschaftlichen Klimas vom „Sollen“ zum „Wollen“ herbeiführen (34). Kein Mensch müsste mehr arbeiten, stattdessen würde er nur arbeiten, wenn er dies wirklich will.

Werner führt diesen Gedanken folgendermaßen weiter: mit diesem System sind beispielsweise auch Unternehmer gezwungen, unliebsame Arbeitsplätze attraktiv zu gestalten oder besser zu entlohnen (35). Ein im aktuellen System bestehender Zwang wird durch Möglichkeiten ersetzt (36).

Populismus

In einem Interview der Zeitung Trott!war wird Werner auf den Zusammenhang zwischen Populismus und BGE angesprochen. Hier sieht Werner eine Möglichkeit, dem in Europa und auch Deutschland immer mehr aufstrebenden Populismus den Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre das Verbreiten von Ängsten nur noch in sehr abgeschwächter Form möglich, denn jeder könnte ja bescheiden, aber menschenwürdig leben.“ (Trott!war 2018, S. 17)

Populismus ist ein schwieriger und sehr kontrovers diskutierter Begriff. Aber gerade Rechtspopulisten nutzen gerne Ängste von Menschen, um diese zu instrumentalisieren und damit Wählerstimmen zu generieren (37). Durch ein BGE könnten zumindest existenzielle Grundängste aufgehoben werden und stünden damit Populisten nicht mehr zur Verfügung. Ob gerade Rechtspopulismus damit gänzlich an Bedeutung verliert, ist zu bezweifeln, dennoch kann das BGE teilweise zu einer Lösung beitragen.

„Care-Arbeit“

Götz Werner beschreibt außerdem einen Wandel der Arbeit, der aufgrund des BGE vollzogen werden kann: Von „alter“ Arbeit zu „neuer“ Arbeit, wie er es nennt (38). Die sogenannte „alte“ Arbeit ist Arbeit, welche sich um die stoffliche und materielle Grundlagen unserer Existenz bemüht (39). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese handwerklich oder industriell gefertigt worden sind (40).

Werner geht davon aus, dass es aufgrund des technischen Fortschritts (Industrie 4.0, Digitalisierung) zu einer fortwährenden Rationalisierung kommt und dadurch zu einem Arbeitsplatzabbau beziehungsweise zur Freisetzung von Arbeitskraft (41). Auch andere Quellen sprechen davon, dass man in naher Zukunft bereits mit arbeiterfreien Fabriken zu rechnen hat oder es vermehrt zu Arbeitsplätzen mit enorm hohen Erwartungen/Ansprüchen kommen wird (42).

Diese Rationalisierung stellt für Werner allerdings kein Problem dar; vielmehr sieht er es als eine Art Segen (43). Dies wird damit begründet, dass mit der Rationalisierung bestimmte Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt werden, welche den Arbeitnehmer von einer mühsamen und unliebsamen Arbeit entlasten und diese Entlastung positiv (im Sinne der „neuen“ Arbeit) genutzt werden könnte (44).

„Neue“ Arbeit ist Arbeit am oder für den Menschen (Bildungsarbeit, Sozialarbeit) (45). Sie ist dementsprechend Arbeit, die nicht rationalisiert werden kann oder besser gesagt nicht rationalisiert werden sollte (46). Im derzeitigen System entsteht laut Werner folgendes Problem: Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird jene „neue“ Arbeit sein, da die „alte“ Arbeit mehr und mehr durch Rationalisierungsprozesse ersetzt wird. Zeitgleich kommt es dazu, dass die „neue“ Arbeit weitgehend nicht als solche anerkannt wird, da diese im klassischen Sinne keine Erwerbsarbeit ist. Zusätzlich entsteht das Gefühl, dass man sich diese Arbeit nicht leisten könne, da sie im Vergleich zur „alten“ Arbeit immer relativ teuer ist (47).

Das BGE birgt in seinem Konzept einen Lösungsvorschlag für diese Herausforderung. Durch eine Einführung wird jene „neue“ Arbeit überhaupt erst wieder ermöglicht. Auf der einen Seite könnte es als Lohnsubventionierung dieser Berufsfelder wirken, auf der anderen Seite kann man sich diese Arbeit aufgrund der bereits angesprochenen neuen Freiheiten, welche durch das BGE entstehen, leisten (48). Diese Freiheiten ermöglichen es Menschen, Tätigkeiten auszuführen, welche man sich in einer Welt ohne BGE kaum oder schwer „leisten“ könnte; darunter fällt eben auch die sogenannte Care-Arbeit oder „neue“ Arbeit (49). 

Welche Schwierigkeiten könnten mit der Einführung eines BGE auftreten?

Die wohl größte Schwierigkeit, die mit der Einführung eines BGE’s auftreten kann, ist die Unberechenbarkeit. Es wäre wie der Sprung in ein unbekanntes Gewässer, zunächst gibt es in der Luft kein Zurück, und ob es gut ausgeht, wird man erst nach der Landung erfahren. So existieren schon seit 1970 (v.a. in den USA) Projekte, welche versuchen, die Bedingungen eines BGE zu simulieren, um dessen Auswirkungen genauer bestimmen zu können (50).

In den verschiedensten Ecken der Welt werden seitdem derartige Experimente durchgeführt, jedoch sind realitätsnahe Simulationen nicht in vollem Maße umsetzbar und die Ergebnisse damit nur bedingt aussagekräftig (51). Durch territoriale und zeitliche Restriktionen ist die Aussagekraft solcher Versuche sehr begrenzt oder sogar nichtig (52). Letztendlich ergibt sich daraus folgende Problematik: Das BGE (nach Götz Werner) sieht einen Systemwechsel vor, welcher unberechenbare Folgen in sich birgt; diese Tatsache könnte einer erfolgreichen Einführung im Wege stehen.

Die Frage danach, wer noch arbeiten geht, wenn die grundlegende Existenz gesichert ist, steht weiterhin im Raum. Götz Werner glaubt nicht daran, dass niemand mehr arbeiten würde und wirkt teilweise schon genervt in Bezug auf derlei Argumentation (53). Dagegen geht Nida-Rümelin davon aus, dass es mit einem BGE zu einer sozialen Spaltung der Gesellschafft kommt. Dies begründet er mit Studien über Langzeitarbeitslose, welche nach einem längeren Zeitraum der Erwerbslosigkeit sich nur noch schlecht in ein Berufsleben integrieren lassen (54). Nach ihm würde ein anhaltender derartiger Zustand dazu führen, dass es „zu einer Spaltung der Gesellschaft in dauerhaft Erwerbstätige und dauerhaft Erwerbslose“ führt (55).

Außerdem besteht auch folgendes Spannungsfeld: Gleich ist nicht gerecht. Warum sollte ein Millionär das gleiche Anrecht auf 1500 Euro haben wie eine Person, auf dessen Konto ausschließlich rote Zahlen zu finden sind? Natürlich kennt das bedingungslose Grundeinkommen keine Ausnahmen, wie auch Götz Werner argumentiert (56). Oder auch das BGE „als einen bar ausgezahlten Steuerfreibetrag an[zu]sehen (Anpassung F.L.)“ (Werner 2018, Seite 152). Dennoch wirft eine solche Gleichbehandlung die Frage nach Gerechtigkeit auf.

Weiterhin ist gerade durch das Konsumsteuersystem die Frage, ob Geringverdiener dadurch einen Nachteil haben. Dabei stellt sich weiterhin die Frage welche Höhe ein BGE haben muss, um überhaupt das Existenzminimum sichern zu können und inwieweit ständige Regulierungen nötig sind, damit ein Minimum immer gesichert bleibt.

Wie bereits erwähnt, kommt es in verschiedenen Vorträgen und Interviews Götz Werners schlussendlich zu der Frage der Finanzierbarkeit. Für viele Gegner eines BGE ist die Nichtfinanzierbarkeit oftmals ein überaus überzeugendes Argument (57). Dadurch stellt sich die Frage, ob ein grobes Konzept und viel guter Wille für eine Finanzierung ausreichend sind. Doch auch Douma postuliert in ihrem Buch: Es „muss ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle nicht am Geld scheitern“ (58). Dennoch ist es schwierig, sich einzig und allein auf die schönen Worte Götz Werners zu verlassen; besser wäre ein konkret ausgearbeiteter Finanzierungsplan.

Fazit und Reflexion

Das bedingungslose Grundeinkommen erfreut sich in den letzten Jahren einer immer größeren Anhängerschaft. Es bleibt aber schwierig, das BGE und dessen Auswirkungen genau einzuschätzen. So sind Argumente, egal ob von Befürwortern oder Gegnern, häufig überspitzt formuliert und oftmals Spekulation. Durch eine solch komplexe Ausgangslage ist es umso heikler, eindeutig Stellung zu beziehen. Mit dieser Arbeit wurde versucht, einen Beitrag für die kontroverse Debatte rund um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (speziell für die Idee nach Werner) zu leisten.

Viele Punkte bleiben bei Werners Modellvorschlag offen. So zum Beispiel die Frage nach einer konkreten Finanzierung, die Höhe eines Grundeinkommens oder auch, inwieweit staatliches Eingreifen weiter von Nöten sein wird. Dennoch wurde gezeigt, dass es möglich sein könnte, mit der Einführung eines BGE wichtige gesellschaftliche Probleme zu lösen oder zumindest zu deren Lösung beizutragen.

Ein wichtiges Kriterium, welches in diesem Beitrag noch keinen Platz finden konnte, ist, dass das BGE mit dem zugrundeliegenden Menschenbild steht und fällt. Viele Argumente Werners sind ohne ein positives Menschenbild hinfällig. Auch Eva Douma schreibt in ihrem Buch über das bedingungslose Grundeinkommen:

„Die Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen befürwortet oder abgelehnt wird, ist vor allem dadurch bestimmt, welchem Gesellschafts- und Menschenbild der oder die Einzelne anhängt.“ (Douma 2017, S. 96-97)

Daraus ergibt sich folgende Frage: Sind die positiven Entwicklungen, wie sie Werner beschreibt und wie sie hier dargestellt sind, wirklich zu erwarten oder doch nur ein Wunschbild? Gleichzeitig trifft diese Frage natürlich auch auf Einwände gegenüber dem BGE zu. Weiter führt dies zu folgendem Punkt: wenn die Einführung eines BGE scheitert und schwerwiegende negative Folgen für die Gesellschaft auftreten, ist ein solcher Systemwechsel kaum mehr reversibel und so mit einem hohen Risiko verbunden.

Auf der anderen Seite existieren Schwächen bereits im aktuellen System, unter anderem Wohlstandssorgen und Abstiegsängste, welche bereits jetzt zu starken psychischen und politischen Problemen führen und sich weiter zuspitzen können (59). Es gibt demnach bereits Entwicklungen, welche nur schwer abgeschätzt werden können und auch im bestehenden System zu großen Schwierigkeiten führen können, wenn weiterhin auf kleine Verbesserungen gesetzt wird.

Manche Argumentationen, die sich gegen eine Einführung eines BGE aussprechen, sind auch auf die gegenwärtige Situation anwendbar. Deshalb ist die gesellschaftliche Bedeutung dieser Argumente aber keineswegs unwichtig, allerdings sind sie für die Rechtfertigung gegen ein BGE nicht aussagekräftig.

Auf andere wichtige Probleme oder Herausforderungen (so zum Beispiel: Migration) bietet das BGE nach Werner keine Antworten, da diese schlicht eine „andere Baustelle“ darstellen (60). Prinzipiell ist eine solche Aussage verständlich, denn niemand erwartet von einer einzigen Idee einen allumfassenden Problemlöser, dennoch muss dies erwähnt werden.

Es bleibt ebenso schwierig einzuschätzen, wie sich eine nationale Einführung eines BGE auf eine globalisierte Welt auswirkt oder wer genau ein Recht auf ein BGE besitzt, wie zum Beispiel ausschließlich Menschen, welche die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Letzten Endes gibt es, wie in diesem Beitrag gezeigt, begründete Erwartungen, wie sich ein BGE positiv entwickeln könnte und es sich deswegen lohnt, gewisse Risiken einzugehen. So gibt das BGE beispielsweise eine Antwort auf die Alters- und Kinderarmut, welche dringend einer Lösungsfindung bedürfen. Trotzdem müssen bestimmte Elemente der Idee Götz Werners überarbeitet oder besser ausgearbeitet werden.

Interessanterweise geht auch Götz Werner selbst nicht davon aus, dass seine Idee die Ideallösung bietet. Sein Ziel ist es deshalb auch, Menschen anzuregen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, damit daraus neue und eventuell bessere Ideen entstehen können (60). 

Literatur
  • Werner, Götz W.; Lauer, Enrik (2018): Einkommen für alle. Bedingungsloses Grundeinkommen - die Zeit ist reif. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 
  • Douma, Eva (2018): Sicheres Grundeinkommen für alle. Wunschtraum oder realistische Perspektive? Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe / Bundeszentrale für politische Bildung, Band 10227). 
  • Hohnerlein, A. (2018). „Geld gegen die Angst“. Trott!War Die Straßenzeitung im Südwesten. Ausgabe 07. 

Internetquellen
Fußnoten
  1. vgl. Fischhaber 2010
  2. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
  3. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
  4. vgl. FAZ 2014
  5. vgl. Werner 2018, Seite 64-65
  6. vgl. Google Trends 2017
  7. Friedrich Schiller 
  8. vgl. Werner, 2017
  9. vgl. Werner 2018, S. 126
  10. Werner 2018, S. 99
  11. vgl. Werner 2018, S. 279
  12. vgl. Werner 2017, 6:00
  13. vgl. Werner 2018, Seite 279
  14. vgl. ebd., S. 279
  15. vgl. ebd., S. 281
  16. vgl. ebd., Seite 281
  17. vgl. Douma 2018, S. 32
  18. vgl. Werner 2017
  19. vgl. Werner 2017
  20. vgl. Werner 2018, S. 280
  21. vgl. Werner 2018, S. 280
  22. vgl. Werner 2018, S.61
  23. vgl. ebd., S.61
  24. vgl. ebd., S. 61
  25. vgl. ebd., S.64
  26. vgl. Diekmann 2018
  27. vgl. Sozialgesetzbuch II
  28. Vgl. Bertelsmann-Stiftung, 2017
  29. Vgl. Bohmeyer 2018
  30. vgl. Reuter 2016
  31. vgl. Douma 2017, S. 33
  32. vgl. Werner 2018, S. 104
  33. vgl. ebd., Seite 105-106
  34. vgl. Werner 2018, 25:35
  35. vgl. Werner 2018, 25:45
  36. vgl. Werner 2018, S. 129
  37. vgl. Wolf 2017, S. 14
  38. vgl. Werner 2018, S. 110 & 115
  39. vgl. ebd., S. 110
  40. vgl. ebd., S. 110
  41. vgl. Werner 2018, Seite 97
  42. vgl. Douma 2018, S. 17-18
  43. vgl. Werner 2018, S. 97
  44. vgl. ebd., S. 97
  45. vgl. ebd., S. 115
  46. vgl. ebd., S. 116
  47. vgl. ebd., S. 115 – 120
  48. vgl. ebd., S. 120
  49. vgl. ebd., S. 120
  50. vgl. Douma 2017, S. 45
  51. vgl. ebd., S. 45
  52. vgl. ebd., S. 45
  53. Werner 2018, Seite 133
  54. vgl. Nida-Rümelin 2008, S. 84
  55. Nida-Rümelin 2008, Seite 84
  56. vgl. Werner 2018, Seite 151
  57. vgl. Douma 2018, Seite 143
  58. Douma 2018, Seite 113
  59. vgl. Douma, Seite 26
  60. vgl. Werner 2018, Seite 103
  61. Werner 2017, 28:00

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