Lösungsansätze zur Verteilungsfrage im bedingungslosen Grundeinkommen am Beispiel des Flüchtlingscamps "Azraq"

Einer der Hauptkritikpunkte am bedingungslosen Grundeinkommen ist, dass es bisher kaum übertragbare Erfahrungen aus Modellprojekten gibt, die Rückschlüsse auf die Umsetzbarkeit auf der technischen und sozialen Ebene geben. Denn um verlässliche Rückschlüsse aus den gewonnenen Modellprojekten gewinnen zu können, müssen die Verteil- und Organisationssysteme in einer gesamten Stadt oder sogar Region erprobt werden. Für diese bedeutet dies einen sehr hohen organisatorischen Aufwand und die Zusammenarbeit mit allen Unternehmen und Behörden der Region. Durch die Großbewegungen der letzten Jahrzehnte, wie der Globalisierung und Digitalisierung, ist es kaum mehr möglich, einzelne Regionen getrennt zu behandeln, da Banken, Versicherungen, internationale Arbeitgeber und auch nationale Sozialsysteme berücksichtigt oder ausgetauscht werden müssen.

Eine Ausnahme aus den mittlerweile oft hochvernetzten Städten bilden Flüchtlingslager, die meist vom UN-Flüchtlingshilfswerk oder den beherbergenden Staaten betrieben werden und nur wenige Verbindungen zu den umliegenden Städten haben. Eine dieser Städte ist das Azraq-Flüchtlingscamp (en) in Jordanien mit etwa 35.000 Bewohnenden.

Um die Hilfe für die Geflüchteten einfach und zentral zu organisieren, setzt das World Food Programme (WFP) (en) der Vereinten Nationen auf ein zentrales Verteilungssystem über eine Blockchain auf Basis der „Ethereum Smart Contracts“ (en). Gemeinsam mit dem deutschen Accelerator-Projekt wurde eine Lösung entwickelt, die es den Geflüchteten erlaubt, für Nahrungsmittel und Dienstleistungen selbst zu bezahlen (en), anstatt auf Essensrationen angewiesen zu sein.

Dabei wird ein Passwort oder biometrisches Merkmal einer Person, wie die Iris oder der Fingerabdruck, als Zugangsschlüssel genutzt. In dem zentralen Dokument, der so genannten Blockchain wird festgehalten, welche Personen Anspruch auf Geld oder eine Leistung haben. Bezahlen sie etwas oder nehmen eine Leistung in Anspruch, wird dies in die Blockchain geschrieben. Dafür wird ein neuer „Block“ erzeugt, in dem mit dem Passwort oder biometrischen Merkmal der Person festgehalten wird, dass sie eine Leistung in Anspruch genommen hat. Im darauf folgenden „Block“ wird nach einer Formel ein Kontrollwert aus dem letzten Eintrag errechnet und der neue Eintrag festgehalten. Ist ein Eintrag so in dem Dokument festgehalten, kann er nicht mehr verändert werden, da der nicht mehr korrekte Kontrollwert des nachfolgenden Eintrags die Manipulation zeigen würde.

Schon vor einigen Jahren wurde registrierten Flüchtlingen in Zusammenarbeit mit einer Bank ein Betrag auf eine Geldkarte überwiesen, über den sie frei verfügen konnten. Als Nachteile dieser Methode wurde erkannt, dass für die Überweisungen Transaktionsgebühren anfielen, das WFP keine Kontrolle über die gesammelten Daten hat, die Einrichtung des System zeitaufwändig und unflexibel ist und nur beschränkt verhindert werden kann, dass Fremde verlorene oder geklaute Karten verwendeten.

In einem Interview beschrieb die Projektverantwortliche des WFP Alexandra Alden die Vorteile des neuen Blockchain-basierten Verteilsystems. Einerseits gebe die Möglichkeit, selbstbestimmt über Geld zu verfügen, den Geflüchteten ein Stück Würde zurück, das sie bei der Verteilung von Essensrationen nicht hätten. Auch Kinder und Jugendliche können so (über die Bezahlung per Irisscan) selbst über ihr Geld verfügen und sind nicht dauerhaft auf ihre Eltern angewiesen. Zum anderen bietet die Auswertung der anfallenden Daten dem World Food Programme die Möglichkeit, aus dem Konsum der Bewohnenden zu lernen, um Nahrungsmittel so besser und effizienter zu verteilen (ebd).

Die Verteilung über ein blockchainbasiertes Verteilsystem bietet die Möglichkeit, schnell, unabhängig und ohne Zusammenarbeit mit dritten wie Banken Geld oder Sozialleistungen für Empfangende zugänglich zu machen. Der Einsatz von biometrischen Merkmalen als „Schlüssel“ verhindert außerdem effizient den Missbrauch solcher Systeme. Der Betreiber der Blockchain ist allerdings im Besitz aller anfallenden Daten und kann diese zur Analyse der Lebensgewohnheiten, Krankheiten und allen anderen in Verbindung mit der Nutzung anfallenden Transaktionen nutzen. Dies gibt ihm eine enorme Verantwortung, aber auch Missbrauchsmöglichkeiten, die vor dem verbreiteten Einsatz verhindert werden muss.

Ob sich dieses System zur Auszahlung aller Leistungen in einem bedingungslosen Grundeinkommen eignet, muss weiter untersucht werden. Für den Einsatz im Gesundheitswesen oder den bisherigen Sozialsystemen ist ein Einsatz schon heute denkbar, da er kostengünstig, für Empfangende der Leistung einfach und würdevoller ist und einen Missbrauch oder Verwaltungsfehler weitestgehend verhindert.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

EU-Exkursion nach Brüssel im Mai

Leseempfehlungen zum Nahostkonflikt

Ultras - zwischen Support und Protest