Bedingungsloses Grundeinkommen – bisherige Versuche und was wir von ihnen lernen können

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird sowohl medial als auch im politisch-gesellschaftlichen Diskurs immer häufiger diskutiert. Yuval Noah Harari bespricht in seinem Buch „21 Lektionen für das 21 Jahrhundert“ 21 Grundprobleme, denen sich die Menschheit stellen muss. Dabei geht er neben Kriegen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen auch auf unser Verhältnis zur Arbeit und unsere sozialen Sicherungssysteme ein (vgl. Harari 2018). Rutger Bregman sieht in seinem Buch „Utopien für Realisten“ die Zeit für „die 15 Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen“ gekommen. Schwerreiche Unternehmer wie der dm-Gründer Götz Werner favorisieren ein bedingungsloses Grundeinkommen und sehen darin die einzige Möglichkeit zur Grundsicherung.

Während viele verschiedene Theorien und Konzepte zu einem Grundeinkommen existieren, richtet sich der Fokus dieser Arbeit auf bereits durchgeführte oder gestartete Versuche, Experimente und Pilotprojekte. Neben der Vorstellung verschiedener Versuche steht der Erkenntnisgewinn im Mittelpunkt. Außerdem sollen die Grenzen bisheriger Projekte aufgezeigt werden. Dabei soll es vor allem um die Frage gehen, was wir von ihnen lernen können. Abschließend geht es um die Möglichkeiten und Kriterien zukünftiger Projekte und worauf in Zukunft der Fokus gelegt werden sollte.

Durch gesellschaftliche Veränderungen, die Globalisierung und zunehmende Technologisierung und Automatisierung verändert sich unser Verhältnis zur Arbeit. Schon heute werden viele Tätigkeiten von Robotern übernommen, weswegen wir in Zukunft trotz steigender Produktion und Konsum immer weniger Arbeitnehmer benötigen (vgl. Werner 2007, S. 18ff.). Arbeitnehmer, die mit ihrer Tätigkeit unzufrieden sind oder sich in dieser nicht selbst verwirklichen können und sich eingeschränkt fühlen, werden hierbei gar nicht beachtet.

Da sowohl die Schaffung von genügend neuer Jobs als auch die Vermeidung von weiteren Arbeitsplatzverlusten aufgrund der Technologisierung als utopisch anzusehen sind (vgl. Harari 2018, S. 63), muss die Gesellschaft sich Gedanken machen, inwieweit sie diese Jobverluste abfedern und mit den Maschinen in Kooperation anstatt Konkurrenz treten kann (vgl. Harari 2018, S. 56).

Während die Struktur unseres sozialen Sicherungssystems an seine Grenzen stößt, öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter (vgl. Douma 2018, S. 20ff.). Dabei scheint ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen für viele die einzige Möglichkeit zu sein, diesen Veränderungen adäquat zu begegnen.

Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens

Aufgrund einer Vielzahl an politischen und gesellschaftlichen Zielsetzungen existieren viele verschiedene Modelle, welche sich quer durch die Parteienlandschaft ziehen. Diese Grundeinkommen sind teilweise an Bedingungen geknüpft und nur für bestimmte Personengruppen, teilweise bedingungslos und für die komplette Gesellschaft. Am bekanntesten sind die Vorschläge „1000 Euro für Jeden“ von dem dm-Gründer Götz Werner, ein „liberales Bürgergeld“ von der FDP, das „emanzipatorische Grundeinkommen“ der Linken, eine „Grundeinkommensversicherung für Alte, Arbeitslose, Auszubildende und Erwerbsfähige“ von Michael Opielka, das „Bündnis Kindergrundsicherung“ sowie das „solidarische Bürgergeld“ von Dieter Althaus.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen erfüllt dabei die Kriterien „existenzsichernd“, „individueller Rechtsanspruch“, „keine Bedürftigkeitsprüfung“ und „keinen Zwang zur Arbeit“ (Werner & Goehler 2010, S. 37ff.). Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält und wie hoch dieses ausfällt, steht neben der Finanzierung als grundlegende Frage im Raum.

Bisherige Projekte

Bisherige Realisierungsversuche haben in der Regel Modellcharakter und sind sowohl „zeitlich als auch lokal begrenzt“ (Douma 2018, S. 44). Dabei spiegeln sie nicht nur verschiedene Modelle wider, sondern gehen auch einer anderen Zielsetzung nach. Eva Douma unterscheidet in ihrem Buch „Sicheres Grundeinkommen für alle“ vier Modelle von verschiedenen Akteuren mit je eigener Zielsetzung. Diese sind die „Armutsbekämpfung durch Entwicklungshilfe“, die „Armutsbekämpfung durch staatliche Projekte“ sowie private oder politische Initiativen für ein allgemeines Grundeinkommen (vgl. Douma 2018, S. 44ff.).

Armutsbekämpfung durch Entwicklungshilfe

Das Give-Directly-Projekt (https://www.givedirectly.org/research-at-give-directly) von der amerikanischen NGO „Give Directly“ (https://www.givedirectly.org) in Kenia, sollte die Möglichkeiten der direkten Entwicklungshilfe in Form von Geldzahlungen ausloten. Das Projekt fand von 2011 bis 2013 in Kenia statt und wurde unter wissenschaftlichen Standards begleitet und ausgewertet. Neben dem Nutzen von direkten Geldzahlungen sollte das Projekt Unterschiede aufzeigen, ob das Geld an den Mann oder die Frau im Haushalt ausgezahlt wird. Außerdem sollte das Projekt weitere Erkenntnisse zu der erforderlichen Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens sowie der Auszahlungsart liefern. Hierbei bekam etwa die Hälfte der Haushalte das Geld monatlich ausgezahlt, die andere Hälfte zu Beginn im Ganzen.

Aus über 300 Dörfern wurden 60 ausgewählt, die als besonders arm galten. Als besonders arm galten dabei vor allem die Bewohner, welche nur über ein Strohdach verfügten. Fünf Prozent der Forschungsgruppe und damit 503 Haushalte erhielten insgesamt 404 US-Doller, davon 258 Haushalte als monatliches Grundeinkommen. Die Kontrollgruppe bestand aus 432 Haushalten. Während des Projektes wurden für 137 beteiligte Haushalte die Zahlungen von Februar bis August 2012 um 160 US-Dollar aufgestockt. Um der Forschungsfrage der Geschlechterrollen nachzugehen, wurden 208 Frauen und 185 Männern als Haushaltvorstand das Geld ausgezahlt. In den übrigen 110 Haushalten gab es nur einen Haushaltsvorstand, weswegen diese bei dieser Forschungsfrage nicht berücksichtigt wurden.

Nach der Studie von Haushofer und Shapiro aus dem Jahre 2016 (GiveDirectly) steigerten die Haushalte ihre Ausgaben für Konsum, vor allem aber in langlebige Güter und Investitionen für die Zukunft, wie etwa Metalldächer und größere Tierbestände (vgl. Douma, 2018, S. 47). Von diesen Investitionen profitierte somit auch die übrige Bevölkerung der Dörfer (vgl. Douma, 2018, S. 47). Entgegen bisheriger Vermutungen (vgl. Douma, 2018, S. 47) stiegen die Ausgaben für Alkohol und Tabakwaren nicht an (vgl. GiveDirectly, 2019).

Im Hinblick auf ihre Forschungsfragen konnten Haushofer und Shapiro positive Effekte bei „Lebensmittelsicherheit, Konsumverhalten, psychologisches Wohlbefinden und der Stärkung der Frau“ (Douma, 2018, S. 48) feststellen. Positive Effekte blieben in den Bereichen Gesundheit und Bildung aus. Während eine einmalige Auszahlung vor allem die Stabilisierung und Vergrößerung des Kapitalbesitzes förderten, stellten monatliche Auszahlungen die Lebensmittelsicherheit her.

Bekam die Frau im Haushalt das Geld ausgezahlt, begünstigte dies ihre Stärkung und wirkte sich auch positiv auf das Wohlbefinden der anderen Haushaltsmitglieder aus. Obwohl nur neun Prozent der Haushalte in den Dörfern ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen konnten, sahen Haushofer und Shapiro keinen Anstieg an sozialen Konflikten innerhalb der Dorfgemeinschaft.

Ebenso positive Effekte lassen sich bei zwei Projekten von GiveDirectly in Urganda finden. Das Einkommen steigerte sich dauerhaft um 50%, bei Frauen sogar um fast 100%. Die Chancen auf einen Arbeitsplatz erhöhten sich gleichzeitig um 60%. Die Effekte von Betreuern, die Begünstigten zur Seite gestellt wurden, waren nur minimal und standen somit in keinem Verhältnis zu deren Kosten. Auch hier wäre eine direkte Geldzahlung ohne Auflagen und Betreuung sinnvoller und kostengünstiger (vgl. Bregman, 2017, S. 37).

Durchschnittlich erhöht sich durch Direktzahlungen von GiveDirectly nach einer Studie des Massachusetts Institute of Technologie (MIT) das Einkommen dauerhaft um 38%. Während das Wohnungseigentum und der Nutztierbesitz sich sogar um 58% steigert, reduziert sich die Anzahl hungernder Kinder um 42%. Insgesamt kommen 93% der Spenden direkt beim Empfänger an (vgl. Bregman, 2017, S. 36).

Aufgrund der relativ kurzen Zeitspanne und der damit verbundenen geringen Aussagekraft sammeln GiveDirectly aktuell 30 Millionen US-Doller, um eine 12-jährige randomisierte Kontrollstudie zu starten (GiveDirectly, 2019). Hierbei sollen insgesamt 26.000 Kenianer aus 100 Dörfern, eingeteilt in 4 Gruppen, Erkenntnisse liefern. Neben der Kontrollgruppe ohne Geldtransfers erhält eine Gruppe ein langfristiges bedingungsloses Grundeinkommen über 12 Jahre. Demgegenüber stehen zwei Gruppen, die ein kurzfristiges bedingungsloses Grundeinkommen über zwei Jahre erhalten, einmal als monatliche Zahlung und einmal als Einmalzahlung.

Armutsbekämpfung durch staatliche Projekte

Neben den Modellversuchen für ein bedingungsloses Grundeinkommen als Entwicklungshilfe gibt und gab es auch immer wieder Ideen für eine nationale staatliche Umsetzung. Beispiele hierfür finden sich unter anderem in Brasilien, den USA und Kanada. Das bedingungslose Grundeinkommen soll hierbei in der Regel andere Sozialleistungen ersetzen und sowohl den bürokratischen Aufwand verringern, als auch das Wohlbefinden und die Wiedereingliederung der Betroffenen in die Gesellschaft verbessern.

In Brasilien wurde 2003 das Bolsa-Familia-Programm gestartet und sollte armen Familien mit Kindern ein Grundgehalt bieten. Dieses Familienstipendium konnten Familien beantragen, die weniger als 120 brasilianische Reais pro Monat verdienten, dies entspricht umgerechnet etwa 50€ (vgl. Werner & Goehler, 2010, S. 200). Die Lebenserhaltungskosten liegen in Brasilien bei etwa 150 Reais, der Mindestlohn bei 350 Reais. Bis zum maximal dritten Kind erhielten die Familien por Kind 18 Reais, für die ersten beiden Jugendliche über 16 Jahre 30 Reais. Das Programm ist an Auflagen, wie etwa einer Schulpflicht, gebunden und wird bei Nicheinhaltung eingestellt (vgl. Werner & Goehler, 2010, S. 201). In den ersten 10 Jahren haben etwa 13,8 Familien Unterstützung erhalten (vgl. Bolsa Familia, 2013), die Kosten nahmen dabei pro Jahr etwa 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein (vgl. Douma, 2018, S. 59).

Die absolute Armut sank 2002 bis 2005 von 34% auf 23% (vgl. Werner & Goehler, 2010, S. 201), die extreme Armut halbierte sich in den ersten 10 Jahren fast (vgl. Bolsa Familia, 2013). Sowohl die Kindersterblichkeit als auch die Anzahl an unterernährten Kindern verringerte sich in dem betreffenden Zeitraum (vgl. Bolsa Familia, 2013). Außerdem reduzierte sich die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung um 15-20 Prozent (vgl. Bolsa Familia, 2013; Douma, 2018, S. 60).

Durch das Programm wurde der Konsum, die Arbeitseinkommen und die Jobmöglichkeiten der Teilnehmer gesteigert. Neben der Zunahme an Arbeitsverhältnissen und sinkenden Arbeitslosenquoten besuchten deutlich mehr Kinder und Jugendliche regelmäßig die Schule.

Allerdings kann das Bolsa-Familia-Programm nicht als Grundeinkommen und schon gar nicht als bedingungslos angesehen werden. Neben den willkürlichen Kriterien der Bedürftigkeit werden die durchführenden Regionen von der Regierung bestimmt (vgl. Werner & Goehler, 2010, S. 202). Mit dem Ziel, die absolute und extreme Armut bei Familien zu verringern, wird ein Großteil der Bevölkerung von dem Programm ausgeschlossen.

Durch strukturelle Veränderungen der Sozialempfänger beschäftigte sich die USA unter Präsident Nixon schon 1969 mit dem Gedanken eines bedingungslosen Grundeinkommens. Im Raum stand, pro Familie ein garantiertes Jahreseinkommen in Höhe von 1600 Dollar, was heute etwa 10.000 Dollar entsprechen würde (vgl. Bregman, 2017, S. 83).

Im Rahmen der Entscheidungsfindung gab es eine Reihe von lokalen Experimenten, von denen das größte mit 4.800 Probanden in Seattle und Denver stattfand (vgl. Douma, 2018, S. 51f.). Die Teilnehmer aller Ethnien verfügten über ein Jahreseinkommen unter 11.000 $ als Einzelperson oder über weniger als 13.000 $ als Paar. Am Anfang für 6 Jahre ausgelegt, später für eine kleinere Gruppe auf 20 Jahre ausgeweitet, wurde das Projekt aufgrund politischer Änderungen im Jahre 1980 eingestellt (vgl. Douma, 2018, S. 52).

Vor allem der Einfluss eines Mindesteinkommens auf die „Lebenslage von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen“ (Douma, 2018, S. 52) genauer zu erforschen, war hierbei das Hauptziel. Positive Effekte konnten die Forscher bei der Gesundheit und dem Wohnungseigentum feststellen, ebenso verbesserte sich das Geburtsgewicht und der Schulerfolg von Probandenkindern (vgl. Douma, 2018, S. 52f.).

Die Erwerbstätigkeit der hauptverdienenden Ehemänner ging mit einer Reduzierung von 0 bis 9 Prozent in einem geringeren Maße als erwartet zurück. Die hinzuverdienenden Ehefrauen senkten ihre Arbeitszeit um 0 bis 27 Prozent, Alleinerziehende Mütter verringerten die Erwerbsarbeit um 15 bis 30 Prozent (vgl. Douma, 2018, S. 53).

1973 wurde die Stadt Douphin in Kanada mit 13.000 Einwohnern Schauplatz für ein Pilotprojekt. Jeder Einwohner unterhalb der Armutsgrenze, was 30% der Bevölkerung ausmachte, erhielt ein bedingungsloses Grundeinkommen, das für eine vierköpfige Familie bei 19.000 kanadischen Dollar lag (vgl. Bregman, 2017, S. 42f.). Nach einem Regierungswechsel zu einer konservativen Regierung und der verbreiteten Sorge, dass Begünstigte mit Arbeiten aufhören und mehr Kinder bekommen würden, wurde das Projekt nach vier Jahren eingestellt und auch nicht ausgewertet.

Erst später wurden die Daten ausgewertet und wiesen eine sinkende Geburtenrate bei gesteigerten schulischen Leistungen und schnellerer Ausbildung vor. Die Gesamtarbeitszeit reduzierte sich mit 1% bei Männern, 3% bei verheirateten und 5% bei unverheirateten Frauen nur unwesentlich. Während des Projektes sank die häusliche Gewalt sowie die Anzahl an psychischen Problemen deutlich ab, die Krankenhausaufenthalte gingen sogar um 8,5% zurück (vgl. Bregman, 2017, S. 44). Diese Auswirkungen ließen sich sogar noch in der nächsten Generation, sowohl beim Einkommen als auch der Gesundheit, nachweisen (vgl. Bregman, 2017, S. 45).

Ein weiteres Modellprojekt wurde 2017 ebenfalls in Kanada ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt stand hierbei, „inwieweit ein Grundeinkommen bisherige soziale Unterstützungsleistungen“ (Douma, 2018, S. 53) adäquat ersetzen kann und weniger „diskriminierend und dirigistisch wirkt“ (Douma, 2018, S. 53). In repräsentativen Orten in der Provinz Ontario konnten sich mögliche Probanden bewerben, die über ein Jahreseinkommen von weniger als 34.000 kanadische Dollar als Single oder 48.000 Dollar als Paar verfügen.

Als Grundeinkommen können die Teilnehmer bis zu 16.989 kanadische Dollar als Alleinstehende und bis zu 24.027 als Paar bekommen. Damit entspricht die Auszahlung 75% des Existenzminimums. Die Unterstützung darf dabei maximal halb so hoch sein wie das restliche verdiente Einkommen (vgl. Douma, 2018, S. 55). Das Projekt ist als „offener Prozess konzipiert“ (Douma, 2018, S. 55) und soll laufend analysiert werden.

Private Initiativen für ein Grundeinkommen

In London startete 2009 die Hilfsorganisation Broadway ein Pilotprojekt mit 13 Obdachlosen, welche durch Polizeieinsätze, Gerichtskosten und Sozialdienste jährlich Kosten in Höhe von 400.000 Pfund verursachten. Jeder Proband bekam statt Essensmarken und anderen täglichen Hilfsangeboten 3.000 Pfund und konnte sich bei Bedarf an einen Sozialarbeiter wenden (vgl. Bregman, 2017, S. 33).

Nach anderthalb Jahren hatten von den 13 Obdachlosen sieben eine Wohnung gefunden, zwei weitere standen kurz vor dem Einzug. Die durchschnittlichen Ausgaben der Obdachlosen beliefen sich auf 800 Pfund (vgl. Bregman, 2017, S. 34), wodurch die Kosten sich pro Jahr, einschließlich der Sozialarbeitergehälter, auf 50.000 Pfund beliefen (vgl. Bregman, 2017, S. 35).

Neben der Armutsbekämpfung gibt es auch immer wieder Ansätze, das bedingungslose Grundeinkommen aufgrund von Selbstverwirklichungsgedanken zu realisieren. Diese privaten Initiativen funktionieren in den meisten Fällen über Crowdfunding-Kampagnen und lassen sich in vielen Ländern finden. In Deutschland gibt es beispielsweise die Initiative „mein Grundeinkommen“ (vgl. https://www.mein-grundeinkommen.de), die bisher 316 Personen ein einjähriges Grundeinkommen in Höhe von 12.000 Euro finanziert haben. Hierfür haben bisher 137.632 Personen gespendet.

Aufgrund der finanziellen Möglichkeiten des Crowdfunding-Systems sind diese Grundeinkommen meistens auf ein Jahr beschränkt und ermöglichen einer geringen Anzahl zufälliger Personen modellhaft ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Gewinner berichten zwar teilweise in Beiträgen und Blogs über ihre Erfahrungen, eine „systematische Evaluierung oder wissenschaftliche Begleitung“ (Douma, 2018, S. 65) haben sie aber nicht.

In Namibia wurde als private Initiative mit entwicklungspolitischem Charakter in Otjivero ein Pilotprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen gestartet. Dabei handelt es sich um ein stark von Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägtes Dorf (vgl. Douma, 2018, S. 67). Bis auf Rentner, die eine staatliche Altersversorgung erhielten, bekamen alle Einwohner ein monatliches Grundeinkommen von 100 namibischen Dollar.

In der einjährigen Projektphase ging die Wilderei und der Holzdiebstahl um 60% zurück. Während 2008 nur 40% der Kinder im schulpflichtigen Alter die Grundschule besucht hatten, waren es 2009 90%. Die öffentliche Klinik vervierfachte ihre Besucherzahlen und die Unterernährung bei Kindern war praktisch nicht mehr vorhanden. Ein Jahr zuvor war noch jedes zweite Kind von Unter- oder Mangelernährung betroffen (Douma, 2018, S. 68f.).

Nach Ablauf des einjährigen Projektes lief die Kampagne noch bis 2012 auf Spendenbasis im geringeren Umfang weiter, allerdings wurden nur die ersten 12 Monate evaluiert, die Ergebnisse aber nicht veröffentlicht.

Politische Initiativen für ein Grundeinkommen

In der Schweiz wurde im Jahr 2016 in der „weltweit ersten Volksabstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen“ (die Zeit, 2016) abgestimmt. Dabei stimmten 22 Prozent für und 78 Prozent gegen die Einführung. Als Richtwert wurden 2.500 Schweizer Franken für einen Erwachsenen und 650 für Minderjährige empfohlen. Vor allem Zweifel an der Finanzierung sowie die Annahme, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen Menschen vor Arbeit zurückschreckt, hat für eine klare Ablehnung gesorgt (vgl. Douma, 2018, S. 71).

Ergebnisse

Zusammenfassend ging die Erwerbstätigkeit der Begünstigten nur in kleinem Maße zurück, weswegen sich das Argument der „Faulheit“ nicht bestätigen lässt. Vor allem alleinstehende Mütter senkten ihre Arbeitszeit, was die Vermutung nahelegt, dass sie die gewonnene Zeit für ihre Kinder nutzen. Die Menschen achten mehr auf ihre Gesundheit, und die Kindersterblichkeit ging in den betreffenden Gebieten zurück.

Durch ein Grundeinkommen steigerte sich in den betreffenden Regionen das Arbeitseinkommen, die Jobmöglichkeiten und der allgemeine Konsum, wovon alle Gesellschaftsschichten profitieren können. Ebenso ging die Kriminalität in den Gebieten zurück, während die Anzahl der Schulbesuche sich erhöhte.

Dabei zeigen die Versuche, dass die Begünstigten nicht ihr gesamtes Geld auf einmal ausgeben, sondern es für langlebige Güter investierten und Investitionen für eine spätere Einkommenssteigerung tätigten. Monatliche Auszahlungen begünstigen eher die Lebensmittelsicherheit und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, während jährliche Auszahlungen zur Stabilisierung und einen wachsenden Kapitalbesitz beitrugen.

Das Grundeinkommen zeigte sich als effektivstes und gleichzeitig kostengünstiges Mittel gegen Armut. Die Effekte von Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten sind augenscheinlich sehr gering, weswegen das verwendete Geld direkt an die Bedürftigen verteilt werden sollte. Durch direkte Geldzahlungen sehen sich Begünstigte nicht bevormundet und entwickeln Selbstverwirklichungsgedanken.

Grenzen der Projekte

Fast alle Projekte wurden in einem sehr kleinen lokalen und zeitlichen Rahmen durchgeführt. Außerdem wäre es für eine adäquate Vorhersage wichtig, alle Bevölkerungsschichten an einem bedingungslosen Grundeinkommen teilnehmen zu lassen. Die bisherigen Projekte wurden in der Regel durch Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommen geleitet oder ausgewertet, was eine objektive Bewertung erschwert. Leider wurden die wenigsten Projekte ausreichend wissenschaftlich begleitet, da bisher der finanzielle Aufwand für viele abschreckend wirkt.

In der Regel werden nur sehr kleine Probandengruppen ausgewählt, entweder in Dritte-Welt-Ländern oder nur aus Randgruppen unserer Gesellschaft. Dies erschwert eine Projektierung der Ergebnisse auf Deutschland.

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist gleichzusetzen mit einem Sprung ins Ungewisse. Dies lässt sich nicht mit kleinen kontrollierbaren Schritten ermöglichen, sondern benötigt eine grundlegende Veränderung unseres politischen und gesellschaftlichen Verständnisses. Eine solche Änderung lässt sich nur sehr schwer wieder rückgängig machen.

Schlüsse für die Zukunft

Essenziell für die bessere Beurteilung sind groß angelegte Realisierungsstudien. Diese müssen möglichst alle Bevölkerungsgruppen über einen möglichst großen Zeitraum erfassen und diese auch nach wissenschaftlichen Kriterien begleiten und auswerten. Außerdem müssen Projekte initiiert werden, die einen Vergleich mit Deutschland zulassen. Dabei gibt es vor allem bei der Erforschung der Akzeptanz von Grundeinkommen noch Lücken.

Bei einem bedingungslosen Grundeinkommen stellt sich auch die Frage, inwieweit sich dieses nationalstaatlich verwirklichen lässt oder ob hierfür nicht eine gesamteuropäische Lösung gefunden werden muss.

Fazit

Ein politisches und gesellschaftliches Umdenken scheint in Zeiten der Globalisierung, der Industrie 4.0 und einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich unausweichlich. Dabei werden immer mehr die strukturellen Probleme und Grenzen unseres aktuellen sozialen Sicherungssystems sichtbar. Ein bedingungsloses Grundeinkommen scheint hierauf eine passende Antwort zu sein.

Bisherige Versuche und Pilotprojekte lieferten erste positive Erkenntnisse und konnten die größten Befürchtungen und Vorbehalte ausräumen. Die Gesamtarbeitszeit sank nur unwesentlich und die Menschen nutzten die gewonnene Zeit zur Selbstverwirklichung. Eine finanzielle Umsetzung scheint bei gleichzeitiger Ablösung bisheriger Sicherungssysteme machbar. Die Effektivität eines Grundeinkommens liegt dabei deutlich über anderen sozialen Sicherungssystemen und kommt mit deutlich weniger bürokratischem Aufwand aus.

Weder Anzahl und Umfang noch die wissenschaftliche Auswertung kann von den bisherigen Projekten als positiv wahrgenommen werden. Die meisten Studien wurden dabei entweder in Dritte-Welt-Ländern oder nur mit gesellschaftlichen Randgruppen durchgeführt. Dabei scheint der Zusatz „bedingungslos“ wichtig zu sein, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern. Die wenigsten Projekte lassen sich so auf Deutschland oder sogar Europa projektieren, was eine Umsetzung deutlich erschwert.

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde unser Verständnis von Arbeit und Gesellschaft vermutlich neu ordnen. Eine Umstellung unserer sozialen Sicherungssysteme auf ein bedingungsloses Grundeinkommen scheint über kleine, kontrollierbare Veränderungen nicht umsetzbar zu sein. Eine radikale Veränderung gleicht aber einem Sprung ins Ungewisse, die Folgen sind mit dem bisherigen Forschungsstand nicht vorhersehbar.

Literaturverzeichnis
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  • Bregman, R. (2017). Utopien für Realisten. Die Zeit ist reif für die 15- Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen . Reinbek: Rowohlt Verlag GmbH.
  • die Zeit (5. Juni 2016). Schweizer lehnen bedingungsloses Grundeinkommen ab. Von dpa, Reuters: https://www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/schweizer-lehnen-bedingungsloses-grundeinkommen-ab
  • Douma, E. (2018). Sicheres Grundeinkommen für alle. Wunschtraum oder realistische Perspektive? Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
  • GiveDirectly. (16. April 2019). Von https://www.givedirectly.org/
  • Harari, Y. N. (2018). 21 Lektionen für das 21 Jahrhundert . München : C.H.Beck Verlag.
  • Mein Grundeinkommen (24. April 2019). Von https://www.mein-grundeinkommen.de
  • Werner, G. (2007). Einkommen für alle . Köln: Kiepenhauer Verlag.
  • Werner, G., & Goehler, A. (2010). 1000€ für jeden. Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen . Berlin : Econ .

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