Katar und die Fußballweltmeisterschaft 2022

Am 2. Dezember 2010 verkündete Joseph „Sepp“ Blatter in Zürich den Gastgeber zur Weltmeisterschaft 2022. Katar setzte sich in vier Runden innerhalb eines Ausschlussverfahren gegen Australien, Japan, Südkorea und die USA durch. Die Wahl lässt längst überfällige Korruptionsvorwürfe wieder aufklingen. Wie kann sich ein kleines Emirat wie Katar gegen all diese Länder durchsetzen, die sowohl eine vorhandene Infrastruktur als auch geeignetes Klima für den Sport vorweisen können?

Stand jetzt (September 2018) wird die WM definitiv kommen, doch in welche Position bringt die Ausrichtung der Weltmeisterschaft Katar, auch im Hinblick auf die Stellung Katars auf der arabischen Halbinsel? Vorangehend soll eine Betrachtung der Vergabe der WM 2022 stattfinden. Anschließend wirft dies vor allem die Frage auf, ob die Menschenrechte innerhalb einer autokratischen Monarchie gewährleistet werden können? Und welche Auswirkungen könnte sie auf die Außenpolitik Katars haben? Was bringt ein solches sportliches Mega-Event mit sich, vor allem für ein kleines Land wie Katar? Hierbei stellt sich auch die Frage nach möglichen Perspektiven, welche sich durch die WM-Vergabe für Katar eröffnen. 

Die Vergabe der FIFA Fußballweltmeisterschaft 2022

Die Bewerbungsfrist für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2018 und 2022 endete am 2. Februar 2009. Für die Weltmeisterschaft 2022 setzten sich fünf Bewerbungen durch: Australien, Japan, Südkorea, die USA und Katar.

Katar startete eine beispiellose Werbekampagne. Zu jedem der insgesamt 12 Stadien, welche komplett neu gebaut oder teils erweitert werden würden, wurde ein sehr aufwendiger Animations-Clip produziert. Die Clips machten deutlich, wie ernst Katar die Möglichkeit einer WM im eigenen Land war. So fungierte zudem Zinédine Zidane, dreifacher Welt-Fußballer, als Bewerbungsbotschafter – gegen eine Entlohnung von mehreren Millionen Euro.(1)

Während der laufenden Bewerbung prüfte der damalige Chef der FIFA-Prüfungskommission, Harold Mayne-Nichols, alle Bewerber und kam zu dem Schluss, dass Katar die schlechtesten Voraussetzungen vorwies. Vor allem die Risiken, welchen die Mannschaften in Bezug auf die hohen Temperaturen ausgesetzt sein würden, standen dabei im Vordergrund.(2) Des Weiteren beklagte er die fehlende Infrastruktur und die problematische Situation in Bezug auf die Menschenrechte in Katar.(3)

Kurze Zeit später stimmte das 22-köpfige FIFA-Exekutivkomitee innerhalb von vier Runden nach Ausschlussverfahren ab. Katar gewann mit 14 zu acht Stimmen gegen die USA.(4) Der zuvor genannte Bericht des Vorsitzenden der Prüfungskommission schien dabei kaum Beachtung gefunden zu haben, obwohl sich Katar als „Sommer-WM“ bewarb.

Die unerwartete Vergabe an Katar ließ von Anfang an den Verdacht der Korruption aufkommen. Die ersten konkreten Anschuldigungen kamen schließlich aus London. Sie konnten, gestützt durch Beweismaterial, den Katarer Mohamed bin Hammam, Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, überführen.(5) Bin Hammam soll mit insgesamt fünf Millionen Dollar die Stimmen mehrerer Mitglieder gekauft haben. Nach diesen Enthüllungen folgte unverzüglich die lebenslange Sperre Bin Hammams.(6) Die erwarteten Neuwahlen blieben jedoch aus.

Die Vergabe an Katar hat die Glaubwürdigkeit der FIFA in der Öffentlichkeit in Frage gestellt. Vor allem für den damaligen FIFA-Präsidenten Blatter waren diese Vorwürfe von großer Relevanz, da 2011 seine Wiederwahl anstand. Ein solcher Skandal könnte ihn die Präsidentschaft kosten. In der Öffentlichkeit gab er sich ahnungslos und verurteilte die korrupten Machenschaften während des Wahlkampfes: „Als Kapitän ist er überzeugt, dass er das FIFA-Schiff aus den unruhigen Gewässern in einen sicheren Hafen steuern könne, in dem die Fussballpyramide auf dem Fundament der Mitgliedsverbände frisch errichtet und die Glaubwürdigkeit der FIFA so wiederhergestellt werden könne.“(7) Am 1. Juni 2011 wird Blatter zu seiner vierten Amtszeit mit 186 von 203 Stimmen als FIFA-Präsident wiedergewählt.

Nach dieser Affäre ist der öffentliche Druck so groß, dass der FIFA keine andere Wahl bleibt, als zu handeln. Sie engagiert den als unbestechlich geltenden New Yorker Juristen Michael J. Garcia, welcher bereits in mehreren US-Ministerien arbeitete. Garcia soll als Chefermittler den Korruptionsvorwürfen auf den Grund gehen, wozu er „offiziell“ über alle Vollmachten verfügt. Explizit soll er die Vorgänge um die Vergaben der FIFA WM 2018 an Russland und der FIFA WM 2022 an Katar untersuchen.(8)

Als er im Juli 2012 seine Untersuchungen startete, war bereits vorhersehbar, dass interne Unterlagen der betroffenen Fußballverbände nicht problemlos einsehbar sein würden. Dennoch war er zuversichtlich, mit der Vollmacht des Fußballweltverbandes, den nötigen Druck ausüben zu können.

Letztendlich stellte sich heraus, dass er weder umfangreiche Befragungen durchführen konnte, noch auf die Unterstützung anderer Länder hoffen durfte. So wurde ihm beispielsweise untersagt, Berater, welche an den Ausschreibungen der Weltmeisterschaften mitgewirkt hatten, zu befragen. Länder wie Spanien und Portugal untersagten zudem ihre Kooperation und jeglicher Informationsfluss aus Katar wurde sehr geringgehalten. Eine Reaktion seitens Russlands blieb ganz aus und Garcia wurde die Einreise verwehrt.

Trotz aller Hindernisse legte dieser 2014 seinen 400-seitigen Abschlussbericht vor, welcher all diese Problematiken darlegte und kritisch beleuchtete. Den vollständigen Bericht gibt es in drei Teilen hier (1;2;3). Garcia selbst plädierte dafür, den Bericht für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und somit durch Präsenz seitens der FIFA zu punkten. Trotz Bemühungen wurde der Bericht letztendlich umgeschrieben und lediglich eine kürzere „Zusammenfassung“ veröffentlicht.

Laut Garcia entsprach diese ‚Zusammenfassung‘ nicht seinem ursprünglichen Bericht.(10) Für ein juristisches Dokument erschien dieses Vorgehen sehr ungewöhnlich. Hinzu kommt ein Statement der FIFA-Ethikkommission, welche vehement daran festhält, keine Beweise für gravierende Bestechungen in der WM-Vergabe gefunden zu haben.(11) Zwei Monate nach der Veröffentlichung der Zusammenfassung tritt Garcia offiziell als Chefermittler der FIFA zurück.

Letztendlich ermittelte das FBI anschließend 4 Jahre lang gegen den früheren CONCACAF und Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, Chuck Blazer, welcher FIFA-Gelder veruntreute.(12) Das FBI war die erste Institution, die es wagte, offiziell gegen die FIFA vorzugehen. Chuck Blazer wurde zum Maulwurf des FBI und konnte, als Mitglied des Exekutivkomitees, sehr belastendes Material offenlegen.(13)

Im Mai 2015 ordnet das FBI, zusammen mit den Schweizer Behörden, die Verhaftung von mehreren FIFA-Funktionären an, darunter auch der damalige Präsident der CONCACAF.(14) Seit 1991 sollen hochrangige FIFA-Funktionäre über 150.000.000 US-Dollar als Bestechungsgelder oder sogenannte „Kickbacks“ veruntreut haben.

Ende September 2015 geriet Blatter selbst wegen Veruntreuung in das Visier der Schweizer Justiz. Nach der Ära Blatter wurde am 27. Juni 2017 der vollständige Bericht online gestellt. Unter anderem legt dieser offen, dass es Geldflüsse aus Katar auf das Konto eines damals zehnjährigen Mädchen gegeben haben soll.(15) Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Neben den Einschätzungen zu den WM-Werbern bietet der Report einen enormen Fundus an Fehlverhalten einzelner Personen, insbesondere Exekutivmitgliedern, denen es um den ‚persönlichen Nutzen‘ gegangen sei.“(16) Die aufgedeckten Geldflüsse Katars und damit verbundene Korruptionsvorwürfe gegenüber der FIFA sind jedoch erst der Beginn. 

Katar und die Menschenrechte

In dem kleinen arabischen Emirat, welches ungefähr der Größe Bayerns entspricht, herrscht eine absolute Monarchie. Amnesty International zeigt auf, dass Folter in Gefängnissen auch heutzutage noch anhält und auch der Schutz vor Gewalt, vor allem von Frauen, nach wie vor unzureichend ist.(17) So arbeiten viele Frauen als Gastarbeiter, beispielsweise aus Indien, Pakistan und Nepal, und werden ausgebeutet.(18) Auch die Zahl der Vergewaltigungen ist sehr hoch.(19)

Wie wenig der Schutz der Frauen in der katarischen Monarchie gewährleistet ist, zeigt beispielsweise auch ein Bericht der ‚ZEIT‘, in welchem eine 22-jährige Touristin ihre eigene Vergewaltigung bei der Polizei anzeigt und anschließend aufgrund außerehelichen Geschlechtsverkehrs zu drei Monaten Haft verurteilt wird. Zudem wurde sie zu 750 Euro und einem Jahr Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Der mutmaßliche Täter wurde gefasst und zu 140 Peitschenhieben verurteilt.(20)

Zudem stellt sich hier die Frage, welche Folgen nach der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft für die rund 1,7 Millionen Gastarbeiter zu erwarten sind, vor allem in Bezug auf deren Arbeitsrechte und einer dortigen Durchschnittstemperatur von 33° Celsius.

Viele der Arbeiter stammen aus Nepal, Pakistan und Indien.(21) Der Arbeitsmarkt in Nepal, aus welchem die meisten Wanderarbeiter stammen, befindet sich in einer schlechten Verfassung, sodass sich ein Großteil der Bevölkerung gezwungen sieht, auszureisen, um Arbeit zu finden. Dadurch entstanden in Nepal sehr viele Vermittlungsagenturen, bei welchen sich die Wanderarbeiter aufgrund hoher Vermittlungsgebühren oftmals verschulden.

Neben Korruption und unzähligen Vermittlungsagenturen fungieren zudem noch private Außendienstangestellte, welche in entlegeneren Regionen um Wanderarbeiter werben sollen. Wenige dieser Firmen arbeiten mit dem Staat Hand in Hand, was für die Vermittler und Privatangestellten viel Spielraum, unter anderem für Manipulationen, bietet.(22)

Die überhöhten Vermittlungsgebühren können dadurch nur schwer kontrolliert werden. Eine maximale Vermittlungsgebühr von umgerechnet 90 Euro ist per Gesetz erlaubt. Die Realität zeigt allerdings, dass angehende Wanderarbeiter teils mehrere hundert Euro zahlen, um überhaupt die Chance auf eine Vermittlung zu erhalten.(23) Dies lässt sich nur schwer umgehen, da dem Amt für Auslandsbeschäftigung zunächst ein Anforderungsschreiben der jeweiligen katarischen Firma vorliegen muss, bevor etwaige Auslandsarbeitserlaubnisse erteilt werden.

Anschließend wird eine vorläufige Genehmigung ausgestellt und ein Bewerbungsgespräch vereinbart. Hinzu kommen Gesundheitstest, welche die Arbeiter absolvieren müssen, sowie etwaige Versicherungen, Steuern und Gebühren, welche in Eigenaufwand bezahlt werden müssen.(24) Im besten Fall erhalten sie anschließend, nach einigen Monaten Wartezeit, eine Genehmigung. Schließt man den Arbeitsvertrag über eine Agentur ab, kann dies zum Vorteil haben, dass die Möglichkeit auf eine Krankenversicherung und eine vertragliche Festlegung der Art der Arbeit und des Gehalts besteht, zumindest in der Theorie.(25)

Die Praxis zeigt jedoch oftmals Gegenteiliges auf. Mustafa Quadri von Amnesty International und Verfasser des Berichts „Die hässliche Seite des schönen Spiels“ sprach mit vielen Wanderarbeitern und verfasste einen aussagekräftigen Bericht über deren Situation in Bezug auf den Stadionbau und die Lage der Arbeiter allgemein: „Die Arbeiter, mit denen ich geredet habe, haben den Rasen gesät, auf dem der berühmte Fußball-Verein Bayern München gespielt hat. Die Arbeiter hausten zu zwölft oder vierzehnt in einem Zimmer, ihnen wurden die Pässe abgenommen. Jeder von ihnen hat 4500 Dollar bezahlt, um einen Job zu kriegen, mit dem sie 120 Dollar im Monat verdienen.“(26)

Um weitere Kosten einzusparen, werden die Arbeiter auf kostengünstigem Grund untergebracht – in der Wüste. Sie verbringen somit bereits mehrere Stunden ihres Arbeitstages damit, von ihrer Wohnstätte zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, was wiederum nicht bezahlt wird. Auch Überstunden werden in den seltensten Fällen vertraglich geregelt.(27)

Das Problem - die Kafala

Die Kafala bezeichnet in der Hinsicht des Arbeitsrechts ein System der Bürgschaft. Dabei braucht jeder Arbeitsmigrant in Katar einen Arbeitgeber als Sponsor und darf ohne dessen Erlaubnis den Job nicht wechseln oder gar aus dem Land ausreisen.(28) Das System ist vor allem in den arabischen Golfstaaten von großer Bedeutung und dort gesetzlich vorgeschrieben. Die Kafala bestimmt das Arbeits- und Aufenthaltsrecht in den jeweiligen Staaten.

Dabei gibt der Staat die Kontrolle über die Arbeitsmigranten in die Hände der privaten Firmen. Jeder ausländische Arbeiter, der in Katar arbeiten will, braucht einen Bürgen, in diesem Fall die Baufirmen. Hierzu ziehen viele Bürgen die Pässe der Arbeitsmigranten ein, was jedoch verboten ist. Etwaige Gewerkschaften, die sie dabei unterstützen könnten, sind verboten.(29) In der Realität bedeutet dies, dass die Arbeiter all ihre Rechte an den Arbeitgeber abtreten müssen.

Alle Bestimmungen bezüglich des Vertrags, der Arbeitszeiten und -bedingungen, wie beispielsweise Verpflegung und Unterkunft, werden von Seiten der Arbeitgeber festgelegt. Eine Kündigung seitens der Arbeitnehmer wird bereits durch das Einsammeln der Reisedokumente durch den Arbeitgeber unterbunden.(30) Somit scheint es auch wenig verwunderlich, dass die Situation der Arbeitsmigranten Katars mit Sklaverei verglichen wird.(31)

Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit Katar Möglichkeiten bieten kann und will, um für gerechte Verhältnisse zu sorgen und möglicherweise effektivere Arbeitsstrukturen zu schaffen. Aufgrund dieser rechtlichen Grundlagen war es vielen Arbeitern nicht möglich, nach dem größten Erdbeben Nepals 2015 mit 8786 Toten nach Hause zu reisen, um nach ihren Familien zu suchen und beim Wiederaufbau zu helfen. In Bezug darauf wurden weitere Stimmen laut und so spricht auch Sharan Burrow vom Internationalen Gewerkschaftsbund von moderner Sklaverei.(32)

Der Knackpunkt hierbei: die Menschenrechtsverletzungen finden unter der Verantwortung der FIFA als Veranstalter des Turniers statt. Auf dem 66. FIFA Kongress im Mai 2016 in Mexiko-Stadt reagierte der neue FIFA-Präsident Gianni Infantino auf die Forderung, Katar die WM zu entziehen: zwar verweist er dabei auf eine schlechte Vergangenheit in Bezug auf das Turnier in Katar, plädiert jedoch dazu, nach vorne zu schauen und das bestmögliche aus der WM 2022 zu machen.(33)

Das deutsche Bauunternehmen „Hochtief“ beispielsweise schickt Mitarbeiter in Länder wie Nepal, Indien und Thailand, um vertraglich Rekrutierungsagenturen daran zu binden, von den Wanderarbeitern keine Vermittlungsgebühren annehmen zu können. Jede Vermittlungsgebühr wird vom Bauunternehmen direkt für den jeweiligen Arbeiter bezahlt.(34) Dies stellt eine Möglichkeit dar, um Wanderarbeiter zukünftig besser schützen zu können.

Auch seitens Katar scheint es Reaktionen zu geben. So wurde eine Arbeiterstadt, Labour City, für ca. 100.000 Arbeiter erbaut, und gleichzeitig als Vorzeigeobjekt für internationale Besuche genutzt.(35) Die Unterkünfte wirken angemessen und auch Arbeiter des Bauunternehmens „Hochtief“ werden dort untergebracht. Zudem reagierte der Staat auf den internationalen Druck, indem er eine Reform des Arbeitsgesetzes beschließt.

So finden Kontrollen der Baustellen statt, Krankenversicherung für jeden Bauarbeiter werden ausgestellt und internationale Organisationen eingeladen, um bei der Reform zu beobachten und zu kritisieren. Zudem sollen die Rechte der Arbeiter besser geschützt werden und im Zuge dessen die Job-Flexibilität erhöht werden.(36) Auch das Einziehen des Passes soll künftig mit Strafen belegt werden. So können Vorgesetzte mit mehreren Tausend Euro Strafe rechnen. Trotzdem brauchen Arbeiter jedoch auch künftig noch eine Genehmigung ihres Sponsors zur Ausreise.(37)

Auch die FIFA reagierte auf die Vorwürfe und bildete im Frühjahr 2017 einen Menschenrechtsausschuss, welcher sich aus acht verschiedenen Experten aus UNO, Wirtschaft, Gewerkschaften und NGOs zusammensetzt. Die Vergabe der Weltmeisterschaft soll so künftig an die Menschenrechte gebunden sein.(38) „Die neuen Vorschriften signalisieren den Beginn wirklicher Reformen in Katar, mit Blick auf die Beendigung des Systems moderner Sklaverei und die Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen im Bereich der Arbeitnehmerrechte. Nach Gesprächen in Doha hat sich die Regierung klar dazu verpflichtet, die Schutzvorkehrungen für Wanderarbeitskräfte in dem Land zu normalisieren“, erklärt IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow.(39) 

Katars Außenpolitik

Mit dem Beginn des zweiten Golfkriegs 1990-91, als der Irak Kuwait annektierte, fand ein Umdenken in der Außenpolitik Katars statt. Die Befürchtungen, Saddam Hussein würde seine Expansionspolitik weitertreiben wollen, waren groß.(40) So griff die internationale Politik in Form einer Koalition, angeführt von den Vereinigten Staaten von Amerika, welche durch den UN-Sicherheitsrat autorisiert wurde, ein.

Katar schien zu bemerken, dass der eigene Schutz umso höher war, je mehr westliche Interessenten sich dafür einsetzten. Sie begannen, Deals mit großen Firmen und Warenhäusern abzuschließen und so Anteile auf der ganzen Welt zu besitzen. Heute zählen auch große deutsche Firmen wie Allianz, Deutsche Bank, BMW, Siemens, Thyssen Krupp, Porsche, Volkswagen und Wintershall dazu. Sogar der französische Fußball-Club Paris St. Germain wird von den Kataris finanziert.(41)

Zudem gibt sich Katar als neutraler Mittler in vielen arabischen beziehungsweise regionalen Konflikten; eine weitere Verbesserung des Image Katars in der Welt. Dies änderte sich jedoch rapide, als die al Thanis, entgegen ihrer angeblichen Position als neutrale Mittler, sich auf Seiten der Sieger der Volksaufstände stellten.(42)

Bei der Wahl zum ersten frei gewählten Präsidenten setzte sich der islamistisch geprägte Kandidat Mohammed Mursi durch. Es kam zu Massenprotesten, denn auch das ägyptische Militär schien der Verbindung zur Muslimbruderschaft kritisch gegenüberzustehen. Nur ein Jahr später wurde Mursi vom ägyptischen Militär abgesetzt. Somit verlor Katar einen Verbündeten im arabischen Raum, denn der Kurs Ägyptens war auf die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien gerichtet und beinhaltete die Abneigung der Muslimbruderschaft und deren Ableger.

Nachdem Katar aus dem „Golf-Kooperationsrat“, bestehend aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, dem Königreich Saudi-Arabien, dem Oman und Kuwait, suspendiert wurde, folgte eine Isolation. Die umliegenden Regierungen wollten Katar dazu zwingen, die Unterstützung der Muslimbruderschaft fortan zu unterlassen.(43)

Im Sommer 2017 kam es erneut zur Isolation Katars. „Bahrain, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten schlossen ihre Grenzen und forderten alle Bürger Katars auf ihrem Gebiet zur Ausreise auf.“(44) Saudi-Arabien, mit seiner Vormachtstellung am Golf, sieht Katar und die Muslimbrüder als Bedrohung an, denn nicht nur das katarische Herrscherhaus glaubt an den schiitischen Islam, sondern auch der Iran, welchem immer wieder Verbindungen zu Katar zugesprochen werden.

Die Vormachtstellung am Persischen Golf scheint hier im Mittelpunkt zu stehen, wobei Katar, seitens Saudi-Arabiens, einen weiteren potentiellen Verbündeten gegen Länder wie den Iran darstellt. Katar befindet sich dabei in einer Art Zwickmühle. Zum einen werden 90% der Lebensmittel importiert und müssen über den Landweg durch Saudi-Arabien nach Katar gelangen. Zum anderen teilt sich Katar mit dem Iran das weltweit größte Vorkommen an Erdgas.(45) Eine Abwendung Katars dem Iran gegenüber könnte zu schweren politischen und auch wirtschaftlichen Spannungen führen.

Was an den Vorwürfen, Katar würde Terrorgruppen wie die Muslimbrüder, deren Ableger Hamas, die Nusra-Front oder den IS unterstützen, dran ist, lässt sich nur schwer nachweisen. „Trotz dieser politischen Ausgangslage sind sich Experten weitgehend einig, dass Katar zu den Großsponsoren des militanten Islamismus gehört. Mehr noch. Das Emirat soll Terroristen Unterschlupf gewähren. Und: Es fehle ihm an Willen, gegen Terrorfinanziers vorzugehen. Wer in Katar untertauche, habe nichts zu befürchten.“(46) Wie sich die „Golfkrise“ auf die WM 2022 auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Bei der diesjährigen WM hatte der katarische TV-Sender ‚BeIN Sports‘ die Übertragungsrechte für die arabische Welt, jedoch keine Sendelizenz für Saudi-Arabien. Dort hatte eine Piratenstation alle Spiele der WM in Russland übertragen, was seitens Katar zu großen Verärgerungen führte. Katar appelliert daraufhin an TV-Sender und Fußballverbände, dies nicht zu akzeptieren.(47) Der längst kommerzialisierte Fußball wird somit bereits jetzt für Wirtschaftssanktionen instrumentalisiert, denn die TV-Einnahmen machen für die Verbände den Großteil der Einnahmen aus. 

Die Weltmeisterschaft 2022

Eine der größten Fragen blieb: kann man den Spielern und Zuschauern eine Sommer-WM zumuten? Nach Beratungen seitens der FIFA startet sie nun am 21. November 2022 und endet mit dem Finale am 18. Dezember 2022. Der Termin der Weltmeisterschaft fällt somit mitten in die Hinrunde der Bundesliga.

Der Direktor für Fußball-Angelegenheiten & Fans bei der DFL, Ansgar Schwenken, erklärt: „Die Weltmeisterschaft in Katar ergibt eine Verlegung des gesamten Spielkalenders der Saison 2022/2023. Da wird die Bundesliga-Saison voraussichtlich schon im Juli beginnen und eine verlängerte Pause zur Weltmeisterschaft haben. Weitergehen soll die Bundesliga in der Saison wahrscheinlich im Februar. Auf die Saison davor und danach wird die WM in Katar keine merklichen Auswirkungen haben.“(48)

Bevor jedoch der genaue Spielplan erstellt werden kann, muss zunächst der Spielplan der internationalen Ligen, wie beispielsweise der UEFA Champions- oder Euroleague geklärt werden.(49)

Die Vorbereitungen in Katar sind in vollem Gange. Es soll die kompakteste WM aller Zeiten werden, denn 11 der 12 Spielstätten befinden sich in einem Umkreis von 60 Kilometern. Davon werden neun Stadien komplett neu gebaut und drei für die WM renoviert und mittels Modulbauart erweitert. Dank dieser Bauweise können auch große Teile der neuerbauten Stadien nach der WM abgebaut und auf die nötige Zuschauerzahl reduziert werden.

Die Stadien, Trainingsplätze und Fan-Zonen sollen dank Solartechnologie auf 25° Celsius abgekühlt werden. Das ‚Al-Khor Stadion‘, auch genannt ‚Wüstenzelt-Stadion‘, in welchem sowohl Gruppenspiele als auch das Halbfinale stattfinden soll, wird nach Absprache mit der FIFA, seine Tribünen spenden. Das ‚Doha Port Stadion‘, auch als „Insel-Stadion“ bekannt, in welchem sowohl Achtel- als auch Viertelfinale ausgetragen werden sollen, soll komplett gespendet werden.(50) Um die Fans von Stadion zu Stadion bringen zu können, wird eine neue Metro gebaut - neben den einzelnen Stadien eines der Hauptprojekte Katars.

Auf dem FIFA-Kongress im Juni 2018 in Moskau wurde darüber diskutiert, ob man eine Machbarkeitsstudie über die Austragung mit 48, statt den bisherigen 32, Teams durchführt. Die WM 2022 in Katar findet nach aktuellem Stand allerdings noch mit 32 Teams statt. Jedoch gab Infantino in Auftrag, die Aufstockung mit Katar zu besprechen. Falls die WM mit 48 Teilnehmern in Katar stattfinden würde, würde der finanzielle Aspekt eine enorme Rolle spielen. Je mehr Mannschaften, desto mehr Einnahmen für die FIFA. Dies hätte für die geplante WM im Winter jedoch einen höheren Einfluss auf die Turnierdauer, als bisher erwartet.(51)

Geplant ist der Start mit 48 Teams zur Weltmeisterschaft in Kanada, den USA und Mexiko 2026. Ob die WM in Katar bereits mit 48 Team stattfinden wird, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Die Infrastruktur für solch eine Auslegung muss gegeben sein. Sollte alles bis Turnierbeginn fertig gebaut sein, wäre die Nähe der Stadien zueinander ein erheblicher Vorteil für die Fans. Weite Reisen, wie sie 2026 zu erwarten sind, wären nicht nötig. 

Was verspricht sich Katar von der Weltmeisterschaft?

Nach solch aufwendigen Turniervorbereitungen und unzähligen Skandalen scheint es von besonderer Bedeutung, Katar als starkes Land zu präsentieren und letztendlich auch sportliche Erfolge einzufahren. Um dies zu garantieren, kaufte Katar 2012 den belgischen Fußballverein ‚KAS Eupen‘, in dem Talente und Nationalspieler für Katar geformt werden sollten. Doch wer soll der katarischen Nationalelf zum Erfolg verhelfen? Derzeit liegt der Fokus auf dem Weltfußballer Zinédine Zidane. Der bereits als Bewerbungsbotschafter fungierende Ex-Trainer von Real Madrid soll für die Dienste des Nationaltrainers 200 Millionen Euro erhalten.(52) Leider fruchtete das Experiment mit dem ‚KAS Eupen‘ bislang nicht, sodass, sollte Zidane zustimmen, die nötigen Spieler fehlen würden.

Es gab bereits einen Antrag des afrikanischen Inselstaates Kap Verde bei der FIFA, dass Nationalspieler, die bereits für eine A-Nationalelf aufgelaufen sind, den Nationalverband wechseln dürfen. Vor nicht allzu langer Zeit ließ sich genau dies bei der Handball-WM 2015 in Katar beobachten. Kurzerhand wurden Handballstars, wie Goran Stojanovic und Zarko Markovic, der Kubaner Rafael Capote und der Bosnier Danijel Saric gekauft, um weitaus größere Chancen zu erhalten. Lediglich vier Spieler kamen damals noch aus Katar selbst. Die Handballer schafften es damals bis ins WM-Finale.(53) Sollten sich Anträge dieser Art bis 2022 bei der FIFA durchsetzen, so würde einem Star-Ensemble für Katar nichts im Wege stehen. Im Fokus stehen dabei vor allem Stars, welche mit der eigenen Nationalelf niedrige Chancen auf einen WM-Platz haben.

Neben den sportlichen Erfolgen steht vor allem die eigene Darstellung auf der Weltbühne im Vordergrund.(54) Katar richtet als erstes arabisches Land eine FIFA-Weltmeisterschaft aus. „Internationalität entsteht dadurch, dass sich der Gastgeber einem breiten, internationalen Publikum präsentieren kann. Dazu kann eine gewisse positive Grundstimmung unter der Bevölkerung im Gastgeberland entstehen. Es besteht die Chance, ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Bevölkerung zu entwickeln.“ (vgl. Hochleitner 8)

Dies ist ein weiterer Vorteil für Katar, wenn es um die politischen Spannungen mit den Nachbarländern geht. Sollte die WM erfolgreich durchgeführt werden, könnte dies ein guter Startpunkt für weitere internationale Partnerschaften für Katar sein und sich positiv auf die Wirtschaft auswirken. Zudem trägt die Ausrichtung der WM dazu bei, die eigene Infrastruktur erheblich zu verbessern, was wiederrum ausländische Investoren anlockt und das Land für Tourismus attraktiver macht. Innerhalb des Landes kann es außerdem dazu genutzt werden, eine Art nationale Identität zu fördern und Einheit zu schaffen. 

Fazit

Behält man die Vorgänge rund um die Vergabe an Katar im Hinterkopf, erschließt sich nur schwer ein Verständnis für eine Ausrichtung der Weltmeisterschaft in Katar. Zahllose Vorwürfe, Zeugenaussagen und die Verhaftungen und Verurteilungen wichtiger FIFA-Funktionäre gewähren einen Blick in das damals marode und korrupte System der FIFA. Nach heutigem Stand fehlen wohl entscheidende Zeugenaussagen, um juristisch klarzustellen, dass die FIFA-Weltmeisterschaftsvergabe eindeutig gekauft wurde, was einen Ausschluss Katars zur Folge hätte. Doch dazu wird es vermutlich nicht kommen, denn Präsident Infantino scheint einen ähnlichen Kurs wie auch sein Vorgänger zu fahren: je weniger schlechte PR, desto besser.

Die Menschenrechtsverletzungen, die täglich auf den Baustellen in Katar unter Verantwortung der FIFA stattfinden, machen es besonders schwer, dieser WM mit Freude entgegenzublicken. Zudem werfen sie wichtige Fragen auf: Warum hat die FIFA solch eine enorme Macht? Was muss getan werden, um dies zu ändern und einzuschränken? Als Veranstalter dieses Turniers stehen sie, genau wie die Regierung Katars, in der Pflicht, die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten. Die offizielle Todeszahl auf den Baustellen ist nicht bekannt, doch Gewerkschaften rechnen bis 2022 mit bis zu 4000 Toten.(55) Ein enormes Opfer für einen Monat Fußball.

Doch die autokratische Monarchie handelt bereits und hat Wirtschaftsreformen angeordnet, welche die Umstände auf den Baustellen verbessern sollen und zu besseren Arbeits- und Lebensstandards führen sollen. Das ‚Projekt Weltmeisterschaft‘ kann für die umliegenden Monarchien eine Chance zur Öffnung sein, um mehr Demokratie zu wagen. Die Reform der Kafala stellt einen ersten positiven Ansatz dar. Auch hinsichtlich der Frauenrechte gibt es bereits erste Verbesserungen. Frauen in Katar studieren heutzutage häufiger und erfolgreicher als Männer und könnten die Männer in einigen Jahren in manchen Positionen ablösen. (vgl. Gremm 227)

Zudem scheint die FIFA aus den Skandalen und negativen Schlagzeilen gelernt zu haben. So wurde ein Menschenrechtsausschuss gegründet, welcher künftig die Vergabe der Weltmeisterschaft an die Einhaltung der Menschenrechte binden soll. Inwieweit dieser Ausschuss wirksam auftreten wird, wird sich frühestens zeigen, wenn es um die Bewerbung Marokkos für die Weltmeisterschaft 2030 geht.(56)

Katar droht, mit den aktuellen Sanktionen seiner Nachbarländer immer mehr in Abhängigkeit zu geraten. Den Spagat zwischen dem mit Saudi-Arabien verfeindeten Iran und den übrigen Nachbarn zu meistern, könnte sich aufgrund der wirtschaftlichen Interessen, wie dem Erdgasexport und der Vormachtstellung Saudi-Arabiens am Persischen Golf, als schwere und komplizierte Aufgabe herausstellen, da schlichtweg zu viele verschiedene Interessen und Parteien vorliegen.

Zudem könnte die FIFA Katar immer noch die WM entziehen, sollte der Regierung die Finanzierung von Terrorgruppen nachgewiesen werden. Dieses Szenario ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Insgesamt öffnet die Herausforderung gleichzeitig die Räume für neue Entwicklungen in den Bereichen der Technologie. Andere Staaten, in welchen es ähnliche Temperaturen wie in Katar gibt, könnten Fußballligen bilden und einen Spielbetrieb ganzjährig gewährleisten.

Letztendlich ist die Weltmeisterschaft 2022 in Katar von einer damaligen korrupten FIFA initiiert worden. Die Vergabe hat dazu geführt, dass die FIFA einen völligen Neuanfang wagen musste. Ob dieser mit dem aktuellen Präsidenten Infantino, welcher das Wort ‚Korruption‘ aus dem Ethikcode der FIFA streichen liess, möglich ist, bleibt fraglich.(57) Der tatsächliche Nutzen und etwaige Vorteile, welche die Weltmeisterschaft für Katar haben wird, werden sich wohl erst nach einer detaillierten Analyse der Folgen zeigen. 

Literatur

  • Gremm, Julia (et.al.) (2018): Transitioning Towards a Knowledge Society – Qatar as a Case Study. Cham: Springer.
  • Hochleitner, Matthias (2016): Die ethische Bewertung von Sportgroßveranstaltungen in Schwellenländern. Hamburg: disserta Verlag.


Internetquellen


(2) Vgl. (http://www.taz.de/!5131216/), aufgerufen am 10.09.2018. 

(3) Vgl. Ebd.















(16) Vgl. Ebd.








(24) Vgl. dazu beispielsweise (http://blueskyint.com.np/terms-and-condition/), aufgerufen am 10.09.2018. 





(29) Vgl. Ebd.

(30) Vgl. Ebd.








(38) Vgl. (https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-themen/tnc/nachrichten/fifa-menschenrechte), aufgerufen am 10.09.2018.


(40) Vgl. (https://www.tagesschau.de/ausland/emir-katar-100.html), aufgerufen am 10.09.2018.

(41) vgl. Ebd.

(42) vgl. Ebd.

(43) Vgl. (https://www.tagesschau.de/ausland/emir-katar-100.html), aufgerufen am 10.09.2018.







(50) Vgl. (http://botschaft-katar.de/wm-2022/stadien/), aufgerufen am 10.09.2018.








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